Katharsia (German Edition)
er auf Distanz. „Ein wenig schwach mag er ja sein, der Junge, aber er ist gesund.“ Und mit feiner Ironie setzte er hinzu: „Jedenfalls hat er einen gesunden Widerspruchsgeist …“
Er wandte sich wieder Stadlmeyr zu. „Darf ich den Grund für Ihren Besuch erfahren? Ein Notfall ist dies offensichtlich nicht.“ Er warf einen erwartungsvollen Blick auf den ungebetenen Gast.
„Na ja … es war die Hölle da draußen …“, begann Stadlmeyr.
Ihm schien unangenehm zu sein, was er jetzt zu sagen hatte.
„Also bitte, raus mit der Sprache! Ich habe nicht endlos Zeit.“
„Also, sie haben die ganze Wüste abgesucht.“
„Wer?“
„Helikopter … Engel …“
Doktor Fasin horchte auf. „Also, das sollten wir doch in Ruhe in der Bibliothek besprechen“, sagte er und klatschte in die Hände, woraufhin Kazim unverzüglich erschien und mit hochgezogener Braue eine Verbeugung andeutete.
„Kazim, wir haben eine kleine Unterredung. Leiste dem Jungen solange Gesellschaft.“ Im Abgehen setzte er mit leisem Spott hinzu: „Und reiche ihm einen kleinen Imbiss, damit sein Widerspruchsgeist nicht erlahmt.“
Stadlmeyr lachte über diese kleine Spitze etwas zu laut, bevor er mit dem Doktor in der Bibliothek verschwand.
Kazim lauschte den Stimmen der beiden Männer nach. Erst als nichts mehr zu hören war, gab er sich einen Ruck und wandte sich Sando zu: „Aber bitte, setzen Sie sich doch, junger Herr. Ich werde Ihnen eine Kleinigkeit zu essen besorgen. Ich bin gleich zurück.“
Er eilte davon und Sando war allein. Hunger nagte in seinen Eingeweiden. Erwartungsvoll sah er Kazim entgegen, als der kurz darauf mit der Würde eines Kammerdieners ein Tablett hereintrug. Doch alles, was er servierte, war ein Glas Wasser und ein Teller gefüllt mit ein paar Häppchen.
Das ist doch für den hohlen Zahn , dachte Sando, als er die Scheibe Weißbrot, das halbe Dutzend Käsewürfelchen und eine Handvoll Oliven erspähte.
Kazim hatte die Enttäuschung des Jungen offenbar bemerkt. „Doktor Fasin sprach von einem kleinen Imbiss “, sagte er, bedauernd mit den Achseln zuckend.
„Ist schon gut.“ Sando griff zu. Besser als nichts , dachte er.
Er war noch nicht ganz fertig mit dem kleinen Mahl, als sich die Tür der Bibliothek erneut öffnete und Doktor Fasin und Stadlmeyr ins Foyer traten.
„Entschuldige, Sando, dass wir dich haben warten lassen“, sagte der Doktor freundlich, „aber wir mussten noch einige Dinge klären. Erwachsenenkram.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
Sando steckte den letzten Käsewürfel in den Mund und sagte kauend: „Kein Problem, Herr Doktor.“
„Wie ich hörte, sollst du morgen früh bei der Einwanderungsbehörde in Makala sein. Bis dahin bist du natürlich mein Gast.“ Er beugte sich zu Sando hinab und raunte ihm ins Ohr, als verriete er ein großes Geheimnis: „Dieser kleine Imbiss ist nur ein Vorgeschmack auf das, was dich noch erwartet.“
Er klatschte in die Hände.
„Kazim, der Junge isst mit mir zu Abend. Er soll sich jetzt ein wenig frisch machen und bereite ein Zimmer für ihn vor.“
Der Diener machte eine kleine Verbeugung, zog dabei die rechte Augenbraue ein wenig nach oben, was wiederum den Anflug einer gewissen Arroganz hatte, und wandte sich an Sando: „Wenn der junge Herr mir folgen möchte …“
Sando schloss sich dem Bediensteten an. Im Abgehen hörte er noch, wie Doktor Fasin sagte: „Und Sie, Herr Stadlmeyr, werden jetzt dieses Monster von hier fortbringen.“
Sando fühlte sich wie im Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Er aalte sich in einem Wasserparadies zwischen Nymphen und Fabeltieren, die ihre Leibessäfte als bunt leuchtende Fontänen aus allen möglichen Körperöffnungen verspritzten. Die mit prachtvollen Ornamentfliesen ausgekleideten Bassins waren verbunden durch rauschende Wasserfälle, die die Höhenunterschiede überbrückten. Überall sprudelte, rauschte und blubberte es. Sando schwamm zu einem bizarr anmutenden Drachen, der sich in der Mitte eines Bassins aufbäumte, und ließ sich von dem armdicken Wasserstrahl, der aus seinem Rachen hervorbrach, die Schultern massieren. Das Wasser um ihn herum brodelte, Gischt spritzte. Längst war der Wüstenstaub von seiner Haut gespült. Er fühlte sich wohl hier. Freilich, die Schrecken, die er durchgemacht hatte, grummelten nach wie vor tief in seinem Inneren, hielten seine Nerven unter Spannung, doch das angenehm warme Wasser, das seinen Körper umströmte, begann langsam, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher