Katharsia (German Edition)
riesige Muskel um den Körper des Jungen. Dann verlor er den Halt unter den Füßen und es ging aufwärts. Schließlich landete er in schwindelerregender Höhe auf dem Rücken des Chamäleons.
Da stand er nun auf dem schuppenbewehrten Fleischberg, vor ihm ein weiter Blick ins Land und hinter ihm, wie eine gleißende Spiegelwand, der gewaltige Rückenkamm der Echse. Drei Meter hoch zog er sich hin, vom Nacken des Tieres bis hinunter zum Schwanz. Von einer der steil aufragenden Hornplatten hing eine Strickleiter herab. Sie führte hinauf zu einem überdimensionalen Sattel.
Stadlmeyr, den die Echsenzunge inzwischen sanft neben Sando abgesetzt hatte, erkletterte die Leiter mit geübten Bewegungen. Der Junge bemühte sich, seinem Tempo zu folgen, aber es gelang ihm nicht. Schwindel erfasste ihn.
Der geschwächte Körper forderte seinen Tribut.
„Hast’s gleich geschafft“, hörte er Franz von oben rufen. „Noch eine Sprosse, dann kann ich dich greifen.“
Aus irgendeinem Winkel seines Körpers heraus mobilisierte Sando die erforderliche Kraft. Die rettende Hand packte ihn und beförderte ihn auf den Sattel, der eine Plattform von etlichen Quadratmetern bildete. Schwer atmend lag Sando da. Die Luft kochte in der glühenden Sonne.
„Nun stell dich nicht so an, Bub! Du musst raus aus der Hitze!“
Sando quälte sich hoch, von starken Armen gestützt. Etwas verschwommen erkannte er auf der Plattform einen kleinen weißen Pavillon. Mühsam steuerte er darauf zu und sank dort auf einen weichen Teppich.
Im Schatten war die drückende Hitze erträglicher. Franz reichte Sando eine zweite Wasserflasche und auch diese leerte der Junge gierig in einem Zug. Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück.
Der kleine Pavillon war ausgestattet mit bunten Teppichen und gemütlichen Kissen. In einer Ecke stand eine reich verzierte Truhe mit einem Riegel, dessen Form an eine Schlange erinnerte. Auf einem niedrigen Tisch lag ein aufgerissenes Päckchen mit Kartoffelchips.
Sando wurde bewusst, dass er in seinem neuen Leben noch nichts gegessen hatte.
„Greif zu!“, forderte Stadlmeyr ihn auf, der den Heißhunger in den Augen des Jungen bemerkt hatte. „Leider hab ich nichts Gescheites zu essen da …“
Sando rutschte hinüber zum Tisch, schob sich ein Kissen unter und nahm sich eine Handvoll Chips. Die machen zwar noch mehr Durst , dachte er, aber besser als gar nichts.
Während er sich das bröselnde Zeug gierig in den Mund stopfte, hatte der Wiener es sich auf einem der weichen Teppiche bequem gemacht. Er klappte eine Kühltasche auf und holte eine Flasche Bier heraus. Geräuschvoll ließ er das Nass durch seine Kehle rinnen.
Sando hatte sich inzwischen so weit gefangen, dass er in der Lage war, die Rundumsicht zu genießen, die sich von seiner Position im Pavillon aus bot. „Wie im Hochgebirge!“, rief er begeistert. „Dort vorn am Horizont, ist das eine Stadt?“
„Ja, das ist Makala.“
Sando war überrascht. „Makala? Das gibt’s hier auch?“
„Freilich. Du wirst dich aber nicht zurechtfinden dort. Es ist nicht das irdische Makala.“
„Kein Problem. Ich war auch auf der Erde nie dort.“
Mühsam unterdrückte Sando die Wehmut, die ihn erfassen wollte, weil Makala das Ziel seiner letzten Fahrt mit Maria gewesen war. „Gibt es dort auch so einen großen Basar wie auf der Erde?“, fragte er.
„Gewiss, wenn nicht noch größer …“
Franz nahm einen weiteren Schluck Bier und rief dann aus voller Kehle: „Josi, nach Makala!“
Der Berg geriet in Bewegung. Der Horizont schwang auf und ab, neigte sich mal nach links, mal nach rechts. Es war wie Seegang auf einem Schiff. Sando schloss die Augen. Er hatte Mühe, die Chips bei sich zu behalten.
„Nicht die Augen schließen!“, sagte Stadlmeyr. „Dann wird’s noch schlimmer. Behalt den Horizont im Blick!“
Sando tat, wie ihm geheißen, holte ein paar Mal tief Luft und es wurde tatsächlich etwas besser. „Wie weit ist es bis nach Makala?“, wollte er wissen.
„Na, ich denke, so zwanzig Kilometer. Dafür braucht’s gut drei Stunden. Nicht grad fix, aber es ist eine Gaudi, du wirst es erleben!“
Allmählich gewöhnte sich der Junge an Josis Schaukelei.
„Wie kommt es, dass es hier so riesige Chamäleons gibt?“, wollte er wissen.
„Die Josi ist meinen Träumen entsprungen. Im Prinzip kann es hier alles geben, wovon ein Mensch träumt.“
Sando schaute den Wiener ungläubig an. „Was ich hier träume, wird Wirklichkeit? Sie veralbern
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