Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
sieben war. Sie haben ihn mir einfach weggenommen .« Sie brach in Tränen aus. Doch sie fasste sich rasch wieder. Mit einer unbeholfenen Handbewegung wischte sie sich über das Gesicht und griff erneut nach der Schnapsflasche. Zehn Minuten später stieg Erna die Treppe wieder hinunter in die Stille ihrer eigenen Wohnung. Sie rief nicht die Polizei an.
Katrins Gedanken überschlugen sich.
Wenn das hier Kai Rutkowski war, wer hatte sie dann bei der Brücke angegriffen?
Sie horchte atemlos. Doch die Schritte hinter ihr waren verstummt. Ihr Verfolger war gleichfalls stehen geblieben.
Langsam, ganz langsam, drehte sie sich um. Auf dem Waldweg hinter ihr stand Hansi Meister. Er hielt die Hände leicht erhoben, so als wolle er etwas abwehren, und starrte stumm in Katrins Richtung.
Eine Mischung aus Angst und Wut stieg in Katrin auf, Angst vor dem, was jetzt passieren würde, was er jetzt mit ihr tun würde, und Wut darüber, dass sie so blöd gewesen war, ihn laufen zu lassen. Warum war sie nicht misstrauisch geworden, als er sich dagegen gesträubt hatte, dass Katrin und Roberta ihn aufs Präsidium begleiteten? Wie hatte sie nur so dumm sein können?
Jetzt war sie allein im Wald mit einem Mann der bereits vier Menschen getötet hatte. Fünf Menschen, wenn man Manfred mitzählte, dessen rettende Insel sich langsam in Nichts auflöste. Sechs, wenn man den kleinen Martin mitzählte.
Hansi machte jetzt einen Schritt auf sie zu.
Katrin starrte ihn an. Sie wollte weiterrennen , aber ihre Beine schienen am Boden festgewachsen zu sein. Hansi kam näher.
»Katrin, ich wollte –«
Er brach unvermittelt ab, als plötzlich ein ohrenbetäubender Knall durch den stillen Wald hallte. Sein Gesichtausdruck verzog sich zu einem ungläubigen Staunen und er presste die Hände auf den Bauch. Dann sank er langsam in die Knie. Er öffnete noch einmal den Mund, so als wolle er noch etwas sagen. Aber kein Laut drang aus seiner Kehle. Sein Körper verharrte sekundenlang reglos, bevor er kopfüber auf den Waldboden sackte.
Katrin fuhr herum. Sie hatte jetzt völlig die Orientierung verloren. Dann lächelte sie erleichtert.
»Thomas. Ich bin so froh –«
Sie stockte.
Thomas Heinrich hatte die Waffe nicht gesenkt, sondern richtete sie jetzt auf Katrin. »Du hättest nicht vor ihm wegrennen sollen. Er wollte dich warnen .«
Und mit einem Mal begriff sie.
»Du hast sie alle umgebracht .« Ihr Tonfall war fragend, aber sie erwartete keine Antwort. »Du hast Andreas Schäfer umgebracht, und Erik Stein und –« Katrins Gedanken überstürzten sich.
»Es ist wegen Claudia. Stimmt’s ?«
Thomas Heinrich antwortete nicht. Stattdessen fuhr er mit der linken Hand in seine Manteltasche und beförderte ein kleines Diktiergerät hervor. Schweigend hielt er es in Katrins Richtung und drückte einen Knopf. Sekundenlang war nichts zu hören, bis auf ein schwaches Rauschen und Knistern. Dann sprach plötzlich jemand.
»Es tut mir so entsetzlich Leid, Kai .« Katrin schauderte, als sie Claudia Heinrichs Stimme erkannte. »Ich weiß, wir hätten es dir damals erzählen sollen. Aber wir waren zu feige. Wir waren froh, dass niemand jemals an der Unfallgeschichte zweifelte. Niemand außer Oma Erna auf jeden Fall. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie ahnte, was wirklich in dem Keller geschehen ist. Ich glaube, sie hat sich deshalb so liebevoll um dich gekümmert. Sie hat uns Kinder nicht verraten, weil sie wusste, dass wir nichts Böses gewollt haben, weil ihr klar war, dass es trotz allem ein tragischer Unfall war. Aber sie fühlte sich dir gegenüber schuldig, Kai. Denn du hast dir Vorwürfe gemacht, die vollkommen ungerechtfertigt waren. Sie konnte nicht dich und uns gleichzeitig schützen .«
»Du bist wohl vollkommen durchgeknallt !« Jetzt sprach ein Mann, den Katrin nicht kannte. »Was soll der Scheiß? Sie spinnt, sie hat Wahnvorstellungen. Glaub ihr kein Wort .«
»Ich spinne überhaupt nicht .«
»Claudia war in der Klapse , Kai. Nur damit du Bescheid weißt. Sie ist nicht ganz dicht .« Die Stimme klang kalt, aber man konnte die mühsam unterdrückte Panik heraushören.
»Ich war wegen schwerer Depressionen in Behandlung. Ich bin nicht verrückt .« Claudias Stimme klang bemüht ruhig. »Kai, sag doch was. Warum starrst du mich so an ?«
»Der ist sprachlos. Ist doch klar. Soviel Schwachsinn kann einem die Sprache verschlagen. Ich möchte wissen, wie du auf dieses dämliche Märchen gekommen bist. Du willst dich wohl wichtig
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