Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
ging nicht ran. Zu dem Zeitpunkt war sie schon tot. Ich bin nach Hause gerast, von Hannover aus, mitten in der Nacht. Ich hab sie gefunden. Sie lag auf ihrem Bett. Sie haben sie wohl, nachdem sie tot war, dorthin getragen, denn es musste ja wie Selbstmord aussehen. Und dann habe ich das Band entdeckt. Ich habe es abgehört. Einmal, zweimal, fünfmal. Ich weiß nicht wie oft. Ich habe versucht zu begreifen, warum sie sterben musste. Aber ich habe es nicht verstanden. Ich hab fünf Stunden lang auf der Bettkante neben ihr gesessen und geheult. Und ich habe es immer noch nicht verstanden. Schließlich habe ich beschlossen, die Vergeltung für dieses Verbrechen selbst in die Hand zu nehmen .«
Er schwieg einen Augenblick. Seine Augen schimmerten feucht. Dann fuhr er fort.
»Offiziell habe ich ganz einfach meine Lesereise fortgesetzt. Niemand wusste, dass ich zwischendurch zu Hause war. Ich hab jeden Abend aus diesem Scheißbuch vorgelesen, habe dämliche Fragen beantwortet, bin mit Buchhändlern ausgegangen und in den Hotels abgestiegen, die sie für mich gebucht hatten. Aber währenddessen habe ich heimlich Ermittlungen angestellt. Andreas Schäfer habe ich zuerst ausfindig gemacht. Es war am Tag meiner letzten Lesung, am Mittwoch, dem siebten September. Die war ausnahmsweise schon nachmittags, vor angehenden Anwälten in Mainz. Ich habe im Hotel eingecheckt, bin nach Düsseldorf gefahren, habe Schäfer einen kurzen Besuch in der Brauerei abgestattet und bin wieder zurück. Am nächsten Morgen bin ich offiziell nach Hause gefahren und habe meine Frau gefunden. Bevor ich die Polizei anrief, habe ich ihr erzählt, dass der Erste ihrer Mörder bereits seine gerechte Strafe erhalten hat. Das war ich ihr schuldig .«
Während seiner letzten Worte hatte Thomas Heinrich die Waffe gesenkt. Jetzt starrte er gedankenverloren auf den Waldboden. Katrin suchte verzweifelt nach Worten.
»Aber wie hast du das gemacht? Wie hast du geschafft, dass es wie ein Unfall aussah ?«
Heinrich hob den Kopf, und in seinen Augen blitzte wieder diese arrogante Überlegenheit.
»Das war ein Kinderspiel«, erklärte er, »ich habe gewartet, bis der Scheißkerl in seinen Bottich runtergeklettert ist, dann bin ich reingegangen und hab den Absaugventilator abgestellt, und dieses Warngerät an der Wand auch. War ganz einfach. Der Zufall kam mir ein wenig zu Hilfe. Sein Handy lag auf dem Boden. Er hatte es offensichtlich dort abgelegt, weil er es nicht mit in den Gärbottich nehmen wollte. Vielleicht sollte es beim Putzen nicht nass werden. Ich hab’s mit dem Fuß aus dem Gärkeller getreten, in irgendeine Ecke in dem Vorraum. Sonst hätte er womöglich Hilfe herbeigerufen. Und danach hab ich ganz einfach vor der Tür gewartet. Ich hatte keine Ahnung, wie lang es dauern würde. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass dieser Schweinehund es noch die Leiter raufschafft und ich vielleicht mit Gewalt die Tür zudrücken muss, aber soweit ist es gar nicht gekommen. Ich hab ’ne halbe Ewigkeit gewartet. Irgendwann hab ich dann nachgeguckt. Da lag er am Boden, ein wenig blau im Gesicht. Ich hab schnell den Absaughahn wieder aufgedreht und bin raus. Dieses Alarmding an seinem Gürtel hat die ganze Zeit wie wild gepiepst, aber das hat niemand sonst gehört. Ich hab die Tür weit aufstehen lassen, damit das schneller geht mit dem Luftaustausch. Ich musste ja das Alarmgerät an der Wand wieder einschalten. Ich glaube, es war weit nach Mitternacht, als ich gewagt habe, es anzustellen. Ich hatte echt Glück. Ein paar Mal ist jemand in der Nähe vorbeigekommen, um ein volles Fass zu holen, aber niemand hat mich bemerkt .«
Heinrich starrte gedankenverloren in die Ferne. »War schon ein komisches Gefühl, zu sehen, wie er so dalag. Ein Schock, irgendwie. Du denkst, der liegt da so und ist tot, und es ist deinetwegen. Und dann bricht irgendwie ein Damm. Dann gibt es kein Tabu mehr. Der erste Mord ist hart. Aber danach wird es immer einfacher. Merkwürdig, nicht?«
Thomas Heinrich strich sich gedankenverloren mit der Hand über den Kopf. Katrin hoffte, er würde endlich die Waffe weglegen.
Doch plötzlich fasste er sich.
»Es tut mir Leid, Katrin, dass du da mit reingeraten bist. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich muss die Sache zu Ende bringen. Die Polizei wird euch finden. Der Fall ist eindeutig. Kai Rutkowski hat euch alle umgebracht, seinen Freund Hansi, diesen Zeitungstyp hier -«, er deutet auf die Leiche von Kai Rutkowski , und Katrin erkannte
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