Katz und Maus
den längsten Riemen hatte, mußte seinen rausholen, zum Stehen bringen und danebenhalten: Mahlkes war erstens eine Nummer dicker, zweitens um eine Streichholzschachtel länger und sah drittens viel erwachsener gefährlicher anbetungswürdiger aus.
Er hatte es uns wieder einmal gezeigt und zeigte es uns gleich darauf noch einmal, indem er sich zweimal nacheinander etwas – wie wir es nannten – von der Palme lockte. Mit nicht ganz durchgedrückten Knien stand Mahlke knapp vor der verbogenen Reling hinter dem Kompaßhäuschen, guckte starr in Richtung Ansteuerungstonne Neufahrwasser, war etwa dem flachen Rauch des schwindenden Hochseeschleppers hinterdrein, ließ sich durch ein auslaufendes Torpedoboot der Möwe-Klasse nicht ablenken und gab, von den leicht über Bord ragenden Zehen bis zur Wasserscheide der Scheitellinie, sein Profil zur Ansicht: bemerkenswerterweise hob die Länge seines Geschlechtsteiles das sonst auffällige Hervortreten seines Adamsapfels auf und erlaubte einer, wenn auch bizarren, dennoch ausgewogenen Harmonie, seinen Körper zu ordnen.
Kaum hatte Mahlke die erste Ladung über die Reling gespritzt, begann er sogleich wieder von vorne. Winter stoppte die Zeit mit seiner wasserdichten Armbanduhr: etwa soviele Sekunden, wie das auslaufende Torpedoboot von der Molenspitze zur Ansteuerungstonne benötigte, benötigte auch Mahlke; er wurde, als das Boot die Tonne passierte, genausoviel los wie beim erstenmal: wir lachten überdreht, als sich die Möwen auf jenes, in den glatten, nur selten krausen See schlingernde Zeug stürzten und nach mehr schrien. Diese Darbietungen hat Joachim Mahlke weder wiederholen noch überbieten müssen, weil keiner von uns, jedenfalls nicht nach dem Schwimmen und auslaugenden Tauchen, seinen Rekord erreichte; denn was wir auch taten, wir trieben Sport und achteten die Regel. Tulla Pokriefke, die er wohl am direktesten beeindruckt hatte, lief ihm eine Zeitlang nach, hockte auf dem Kahn immer in der Nähe des Kompaßhäuschens und starrte auf Mahlkes Badehose. Paarmal bettelte sie ihn an, aber er schlug alles ab, ohne wütend zu werden. »Mußte das denn beichten?«
Mahlke nickte und spielte, um ihren Blick zu lenken, mit seinem Schraubenzieher am Schnürsenkel.
»Nimmste mich mal mit runter? Allein hab ich Angst. Möcht wetten, da is nochen Toter unten.«
Wohl aus erzieherischen Gründen nahm Mahlke Tulla ins Vorschiff mit. Er tauchte mit ihr viel zu lange, denn als er sie hochbrachte, hing sie ihm graugelb im Griff, und wir mußten den leichten, überall flachen Körper auf den Kopf stellen.
Von jenem Tag an war Tulla Pokriefke nur noch wenige Male dabei und ging uns, obgleich sie patenter war als andere Mädchen ihres Alters, mit ewigem Gequatsche vom toten Mariner im Kahn mehr und mehr auf die Nerven. Aber das war ihr großes Thema. »Wer mir den hochbringt, der darf mal«, versprach Tulla als Belohnung. Es mag sein, daß wir alle unten im Vorschiff und Mahlke im Maschinenraum, ohne es uns einzugestehen, nach einem halbaufgelösten polnischen Matrosen suchten; nicht etwa um das unfertige Ding zu stoßen, sondern so, einfach so.
Aber auch Mahlke fand nichts, außer einigen tangverfilzten brüchigen Klamotten, aus denen sich Stichlinge schnellten, bis die Möwen etwas merkten und Mahlzeit sagten.
Nein, Mahlke machte sich nicht viel aus Tulla, wenn sie auch später mit ihm zu tun bekommen haben soll. Er war nicht für Mädchen, auch nicht für Schillings Schwester. Und meine Cousinen aus Berlin hat er angeguckt wie ein Fisch. Wenn überhaupt, dann war mit Jungens bei ihm etwas los; womit ich nicht sagen will, daß Mahlke verkehrt herum war; in jenen Jahren, da wir regelmäßig zwischen der Badeanstalt und dem auf Grund liegenden Kahn pendelten, wußten wir alle nie genau, ob wir Männchen oder Weibchen waren. Eigentlich – mögen später Gerüchte und Handfestes dagegen gesprochen haben – gab es für Mahlke, wenn schon Frau, nur die katholische Jungfrau Maria. Nur ihretwegen hat er alles, was sich am Hals tragen und zeigen ließ, in die Marienkapelle geschleppt. Alles, vom Tauchen bis zu den späteren, mehr militärischen Leistungen, hat er für sie getan oder aber – schon muß ich mir widersprechen – um von seinem Adamsapfel abzulenken. Schließlich kann noch, ohne daß Jungfrau und Maus überfällig werden, ein drittes Motiv genannt werden: Unser Gymnasium, dieser muffige, nicht zu lüftende Kasten, und besonders die Aula, bedeuteten Joachim Mahlke viel, und
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