Katz und Maus
englische Häfen anzulaufen. Die Boote »Rys«, »Zbik« und »Semp« ließen sich in Schweden internieren.
Bei Kriegsanfang lagen in den Häfen Gdingen, Putzig, Heisternest und Heia nur noch ein veralteter ehemaliger französischer Kreuzer, der als Schulschiff und Wohnhulk diente, sowie der Minenleger »Gryf«, ein starkbestücktes, auf der Werft Normand, Le Havre, erbautes Schiff von zweitausendzweihundert Tonnen, das regulär dreihundert Minen an Bord hatte. Ferner waren die »Wicher« als einziger Zerstörer, einige ehemalige deutsche Torpedoboote der kaiserlichen Marine zurückgeblieben; und jene sechs Minensuchboote der Czaika-Klasse, die achtzehn Knoten liefen, mit einem Siebenkommafünfbuggeschütz und vier Maschinengewehren auf Drehkränzen bestückt waren und nach offizieller Angabe zwanzig Minen mitführten, legten und räumten Minen.
Und eines dieser Hundertfünfundachtzigtonnenboote hatte man extra für Mahlke bauen lassen.
Der Seekrieg in der Danziger Bucht dauerte vom ersten September bis zum zweiten Oktober und zeigte nach der Kapitulation der Halbinsel Heia folgendes, rein äußerliches Ergebnis: Die polnischen Einheiten »Gryf«, »Wicher«, »Baltyk«, sowie drei Boote der Czaika-Klasse, die »Mewa«, die »Jaskolka«, die »Czapla«, waren ausgebrannt und in den Häfen gesunken; der deutsche Zerstörer »Leberecht Maass« wurde durch Artillerietreffer beschädigt, das Minensuchboot M 85 lief nordöstlich Heisternest auf eine polnische U-BootMine, sank und verlor ein Drittel seiner Be'satzung. Erbeutet wurden nur die restlichen leichtbeschädigten drei Boote der Czaika-Klasse. Während die Boote »Zuraw« und »Czaika« bald darauf unter den Namen »Oxthöft« und »Westernplatte« in Dienst genommen werden konnten, begann das dritte Boot, die »Rybitwa«, als man sie von Heia nach Neufahrwasser abschleppte, Wasser zu machen, wegzusacken und auf Joachim Mahlke zu warten; denn er war es, der im Sommer darauf Schildchen aus Messing hochholte, denen der Name »Rybitwa« eingraviert worden war. Später hieß es, ein polnischer Offizier und ein Bootsmannsmaat, die unter deutscher Bewachung das Ruder des Bootes bedienen mußten, hätten den Kahn, nach dem wohlbekannten Muster Scapa Flow, geflutet. Aus diesen oder jenen Gründen soff es seitlich der Fahrrinne und Ansteuerungstonne Neufahrwasser ab und wurde nicht, obgleich es günstig auf einer der vielen Sandbänke lag, gehoben, sondern ragte während der folgenden Kriegsjahre mit den Brückenaufbauten, den Resten der Reling, mit verbogenen Entlüftern und den Halterungen des abmontierten Buggeschützes zuerst fremd, dann vertraut aus der See und gab Dir, Joachim Mahlke, ein Ziel; wie etwa jenes Schlachtschiff »Gneisenau«, das im Februar fünfundvierzig vor der Hafeneinfahrt Gdynia versenkt wurde, polnischen Schülern zum Ziel wurde; wenn auch ungewiß bleiben wird, ob es unter den tauchenden und die »Gneisenau« ausweidenden polnischen Jungs einen gab, der ähnlich besessen wie Mahlke unter Wasser ging.
III
Schön war er nicht. Er hätte sich seinen Adamsapfel reparieren lassen sollen. Womöglich lag alles nur an dem Knorpel. Aber das Ding hatte seine Entsprechungen. Auch kann man nicht alles mit Proportionen beweisen wollen. Und seine Seele wurde mir nie vorgestellt. Nie hörte ich, was er dachte. Am Ende bleiben sein Hals und dessen viele Gegengewichte. Auch daß er getürmte Stullenpakete in die Schule, in die Badeanstalt schleppte und während des Unterrichtes, kurz vor dem Baden Margarinestullen tilgte, kann nur ein Hinweis mehr auf die Maus sein, denn die Maus kaute mit und war unersättlich.
Bleibt noch das Beten in Richtung Marienaltar. Der Gekreuzigte interessierte ihn nicht besonders. Es fiel auf, daß jenes Auf und Ab an seinem Hals zwar nicht verschwand oder gar zum Stillstand kam, wenn er die Fingerspitzen aneinander legte, doch schluckte er beim Beten in Zeitlupe und vermochte, durch übertrieben stilisierte Handhaltung von einem Fahrstuhl abzulenken, der, oberhalb seines Hemdkragens, seiner Anhängsel an Bindfäden, Schnürsenkeln und Kettchen, immer in Betrieb war.
Sonst war mit Mädchen nicht viel bei ihm los. Hätte er eine Schwester gehabt? Auch meine Cousinen konnten ihm nicht helfen. Sein Verhältnis zu Tulla Pokriefke zählt nicht, war besonderer Art und wäre als Zirkusnummer – er wollte ja Clown werden – nicht ohne gewesen, denn Tulla, ein Spirkel mit Strichbeinen, hätte genausogut ein Junge sein können. Jedenfalls
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