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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zwangen Dich später, letzte Anstrengungen zu machen.
    Es ist jetzt an der Zeit, zu sagen, was für ein Gesicht Mahlke hatte. Einige von uns haben den Krieg überstanden, leben in kleinen Kleinstädten und großen Kleinstädten, sind korpulent geworden, haben Haarausfall und verdienen einigermaßen. Schilling sprach ich in Duisburg und Jürgen Kupka in Braunschweig, kurz bevor er nach Kanada auswanderte. Beide fingen sofort mit dem Adamsapfel an: »Mensch, hatte der nicht irgendwas am Hals. Und haben wir ihm nicht mal eine Katze. Warst Du das nicht, der die Katze an seinen Hals . . .« und ich mußte unterbrechen: »Mein ich nicht, meine nur das Gesicht.«
    Behelfsmäßig wurden wir uns einig: Er hatte graue oder graublaue, helle aber nicht leuchtende, auf keinen Fall braune Augen. Das Gesicht länglich mager, um die Backenknochen muskulös. Die Nase nicht auffallend groß aber fleischig, bei kaltem Wetter schnell gerötet. Vom ausladenden Hinterkopf wurde schon berichtet. Schwer konnten wir uns über Mahlkes Oberlippe einigen. Jürgen Kupka war meiner Meinung: Aufgestülpt stand sie vor und konnte die beiden oberen Schneidezähne, die gleichfalls nicht senkrecht sondern hauerartig schräg standen, nie ganz verdecken – außer beim Tauchen natürlich. Und schon begannen wir zu zweifeln, erinnerten uns, die kleine Pokriefke habe auch eine Stülplippe und immer sichtbare Schneidezähne gehabt. Wir waren am Ende nicht sicher, ob wir Mahlke und Tulla im besonderen Fall der Oberlippe verwechselten. Vielleicht hatte wirklich nur sie eine, denn sie hatte eine, das steht fest.
    Schilling in Duisburg – wir trafen uns in der Bahnhofgaststätte, weil seine Frau etwas gegen unangemeldete Besuche hatte – erinnerte mich an jene Karikatur, die einige Tage lang in unserer Klasse Krach bewirkt hatte. Etwa einundvierzig tauchte bei uns ein langer, gebrochen aber fließend sprechender Kerl auf, den sie mit seiner Familie aus dem Baltikum umgesiedelt hatten: adlig, immer elegant, konnte Griechisch, quasselte wie ein Buch, Vater war Baron, trug im Winter Pelzmütze, wie hieß er bloß, jedenfalls Karel mit Vornamen. Und der konnte zeichnen, ganz schnell, nach Vorlagen und ohne Vorlagen: Pferdeschlitten mit Wölfen drum herum, betrunkene Kosaken, Juden wie aus dem »Stürmer«, nackte Mädchen auf Löwen, überhaupt nackte Mädchen mit ganz langen Porzellanbeinen, aber nie schweinisch, dafür Bolschewisten, die kleine Kinder mit den Zähnen zerrissen, Hitler als Karl der Große komstümiert, Rennautos, in denen Damen mit langen wehenden Shawls am Steuer saßen; und besonders fix und geschickt warf er mit Pinsel, Feder oder Rötelstift Karikaturen der Lehrer und Mitschüler auf jedes Stück Papier oder mit Kreide auf die Tafel; Mahlke, jedenfalls, schmiß er nicht mit Rötel aufs Papier, sondern mit knirschender Schulkreide auf die Schultafel. Er zeichnete ihn von vorne. Damals trug Mahlke schon den affigen und mit Zuckerwasser fixierten Mittelscheitel. Das Gesicht gab er als zum Kinn hin gespitztes Dreieck wieder. Der Mund sauer verkniffen. Keine Spur von sichtbaren Schneidezähnen, die als Hauer Effekt gemacht hätten. Die Augen, stechende Punkte unter schmerzlich gehobenen Brauen. Der Hals gewunden, halb im Profil, mit einer Ausgeburt von Adamsapfel. Und hinter Kopf und Leidensmiene ein kreisrunder Heiligenschein: der Erlöser Mahlke war perfekt und verfehlte seine Wirkung nicht.
    Wir wieherten in den Bänken und kamen erst zu uns, als jemand den hübschen Karel Soundso bei den Knöpfen hatte, zuerst mit bloßer Faust, dann, kurz bevor wir die beiden trennen konnten, mit stählernem Schraubenzieher, den er vom Hals gerissen hatte, neben dem Katheder zusammenschlagen wollte.
    Ich war es, der Dein Abbild als Erlöser mit dem Schwamm von der Tafel wischte.

IV
    Ohne und mit Spott: Vielleicht wäre aus Dir kein Clown aber so etwas wie ein Modeschöpfer geworden; denn es war Mahlke, der im Winter nach dem zweiten Sommer auf dem Kahn die sogenannten Puscheln in die Welt setzte: einfarbige oder buntgemischte, immer aber zwei tischtennisballgroße Wollbällchen wurden an geflochtener Wollschnur unter dem Hemdkragen wie eine Krawatte geführt und vorne zur Schleife gebunden, bis Bällchen und Bällchen, etwa nach dem System der Fliege, querstanden. Ich habe mir bestätigen lassen, man habe vom dritten Kriegswinter an, besonders in Gymnasiastenkreisen, diese Bällchen oder Puscheln – so nannten wir sie – beinahe überall in Deutschland,

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