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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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am häufigsten aber in Nord- und Ostdeutschland getragen. Bei uns führte Mahlke sie ein. Er hätte sie erfunden haben können. Vielleicht war er auch ihr Erfinder, hat mehrere Paar Puscheln, nach seinen Angaben, von seiner Tante Susi aus Wollresten, aus dünngewaschener aufgeribbelter Wolle, aus den oftgestopften Wollsocken seines verstorbenen Vaters anfertigen lassen und brachte sie, am Hals gebunden und auffällig, in die Schule mit.
    Zehn Tage später lagen sie in den Textilläden, noch schamhaft unsicher in Pappkartons neben der Kasse, bald darauf, und was wichtig war, bezugscheinfrei, hübsch arrangiert in den Schaufenstern und traten, weiterhin unbewirtschaftet, von Langfuhr aus ihren Siegeszug durch Ost- und Norddeutschland an, wurden, - ich habe Zeugen – sogar in Leipzig, in Pirna getragen und kamen vereinzelt und nach Monaten, als Mahlke die Puscheln schon wieder abgelegt hatte,
- bis ins Rheinland und in die Pfalz. Ich weiß den Tag genau, an dem Mahlke sich seine Erfindung wieder vom Hals nahm und werde später davon berichten.
    Wir trugen die Puscheln noch lange und schließlich aus Protest, weil unser Direktor, Oberstudienrat Klohse, das Puschelntragen weibisch, eines deutschen Jungen nicht würdig nannte und innerhalb des Schulgebäudes, auch auf dem Pausenhof verbot. Viele befolgten Klohses Anordnung, die als Rundschreiben in allen Klassen verlesen wurde, nur während seiner Unterrichtsstunden. Papa Brunies, ein ausgedienter Studienrat, den sie während des Krieges wieder hinters Katheder gestellt hatten, fällt mir im Zusammenhang mit Puscheln ein: immer wieder hatte er seinen Spaß an den bunten Dingern, hat sich auch ein- oder zweimal, als Mahlke schon keine mehr trug, Puscheln vor seinen Stehkragen gebunden und in dieser Aufmachung Eichendorff, »Dunkle Giebel, hohe Fenster . . .« oder etwas anderes, auf jeden Fall Eichendorff, seinen Lieblingsdichter zitiert. – Oswald Brunies war naschhaft, den Süßigkeiten verfallen und wurde später, angeblich weil er Vitamin-Tabletten, die den Schülern ausgeteilt werden mußten, an sich genommen haben soll, wahrscheinlich aber aus politischen Gründen – Brunies war Freimaurer – im Schulgebäude verhaftet. Schüler wurden verhört. Ich hoffe, nicht gegen ihn ausgesagt zu haben. Seine Pflegetochter, ein puppiges Wesen, das Ballettstunden nahm, trug Trauerschwarz durch die Straßen; sie brachten ihn nach Stutthof – dort verblieb er – eine dunkle verzweigte Geschichte, die an anderer Stelle doch nicht von mir, und auf keinen Fall im Zusammenhang mit Mahlke, niedergeschrieben werden soll. Zurück zu den Puscheln. Natürlich hatte Mahlke sie erfunden, um seinem Adamsapfel was Gutes anzutun. Eine Zeitlang vermochten sie, den unbändigen Hüpfer zu beruhigen, als aber die Puscheln überall, sogar in der Sexta Mode wurden, fielen sie auch am Halse ihres Erfinders nicht mehr auf: und so sehe ich Joachim Mahlke während des Winters einundvierzig zweiundvierzig – der für ihn schlimm gewesen sein muß, denn mit Tauchen war nichts und die Puscheln versagten – immerzu und in monumentaler Einsamkeit, die Osterzeile hinunter kommen, den Bärenweg, in Richtung Marienkapelle, herauf kommen: mit hohen schwarzen Schnürschuhen auf knirschendem aschebestreutem Schnee. Keine Mütze. Rot und glasig die abstehenden Ohren. Vom Zuckerwasser und Frost erstarrtes, vom hinteren Wirbel weg in der Mitte gescheiteltes Haar. Leidend zur Nasenwurzel strebende Brauen. Entsetzte Augen, die wasserblaß mehr sehen, als da ist. Hochgeschlagen der Mantelkragen. – Auch den Mantel hinterließ der verstorbene Vater ihm. – Ein grauer Wollshawl dicht unterm spitzen bis kümmerlichen Kinn übereinandergelegt und mit großer, schon von weitem deutlicher Sicherheitsnadel am Verrutschen gehindert. Alle zwanzig Schritte kommt seine rechte Hand aus der Manteltasche und prüft die Ordnung des Shawls vor seinem Hals - Spaßmacher, den Clown Grock, auch Chaplin im Kino, sah ich mit ähnlich großen Sicherheitsnadeln arbeiten – und Mahlke übt: Männer, Frauen, Uniformierte, die Urlaub haben, Kinder, einzelne und als Knäuel, wachsen ihm über dem Schnee entgegen. Allen, auch Mahlke, weht der Atem weiß vom Mund weg über die Schulter. Und alle Augen, die ihm entgegenkommen, sind auf die komische, sehr komische, schrecklich komische Sicherheitsnadel gerichtet – mag Mahlke bei sich denken.
    Im gleichen strengen und trockenen Winter machte ich mit zwei Cousinen, die über die

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