Katz und Maus
wieder, Schnellboote liefen ein, schöne weiße Wolken über uns unterwegs am Horizont, rauchfahnenleicht, Kommen und Gehen, Glück, Flimmern, kein Fischchen sprang, freundlich blieb das Wetter, zwar hüpfte das Ding, aber nicht weil die Gurgel, nein, weil er überall lebendig und zum erstenmal bißchen albern, keine Erlösermiene, schnappte vielmehr über, nahm sich den Artikel vom Hals, hielt mit gezierten Gesten die Bandenden über den Hüftknochen und ließ, während er mit Beinen Schultern und verdrehtem Kopf ziemlich komisch ein Mädchen, doch kein bestimmtes Mädchen imitierte, den großen Metallbonbon vor seinen Klöten und dem Schwanz baumeln: aber der Orden vermochte nur knapp ein Drittel seiner Geschlechtsteile zu verdecken.
Zwischendurch – und während mir Deine Zirkusnummer langsam auf die Nerven ging – fragte ich ihn, ob er vorhabe, das Ding zu behalten, sagte, am besten sei es wohl, er verstaue den Apparat in seinem Kabuff unter dem Brückendeck, zwischen Schnee-Eule, Grammophon und Pilsudski.
Der Große Mahlke hatte andere Pläne und führte sie aus. Denn hätte Mahlke das Ding unter Deck verstaut; oder besser noch, wäre ich nie mit Mahlke befreundet gewesen; oder noch besser, beides zusammen: das Ding weg, in der Funkerkabine, und ich nur locker, aus Neugierde, auch weil wir in einer Klasse saßen, an Mahlke gebunden – dann müßte ich jetzt nicht schreiben, müßte nicht zu Pater Alban sagen: »War es nun meine Schuld, wenn Mahlke später ...» –Aber ich schreibe, denn das muß weg. Zwar ist es angenehm, Artistik auf weißem Papier zu betreiben – aber was helfen mir weiße Wolken, Lüftchen, exakt einlaufende Schnellboote und ein als griechischer Chor funktionierender Möwenpulk; was nützt alle Zauberei mit der Grammatik; und schriebe ich alles klein und ohne Interpunktion, ich müßte dennoch sagen: Mahlke verstaute das Ding nicht in der ehemaligen Funkerkabine des ehemaligen polnischen Minensuchbootes »Rybitwa«, hängte den Apparat nicht zwischen den Marschall Pilsudski und die schwarze Madonna, nicht übers totkranke Grammophon und die verwesende Schnee-Eule, machte nur kurzfristig, und während ich die Möwen zählte, mit dem Bonbon am Hals unten einen kleinen halbstündigen Besuch, prahlte – so sicher bin ich – vor seiner Jungfrau mit pikfeinem Orden, brachte ihn durch die Luke im Vorschiff wieder ans Licht, stieg mit seinem Gehänge in die Badehose, schwamm mit mir in ausgeglichenem Tempo zur Badeanstalt zurück und schmuggelte das Stück Eisen in geschlossener Hand an Schilling, an Hotten Sonntag, an Tulla Pokriefke, an den Tertianern vorbei in seine Badezelle im Herrenbad.
Nur halb und maulfaul unterrichtete ich Tulla und ihren Anhang, verschwand dann gleichfalls in meiner Zelle, zog mich hastig um und erwischte Mahlke an der Haltestelle der Linie Neun. Solange die Straßenbahnfahrt dauerte, versuchte ich ihn zu überreden, den Orden, wenn schon, dann dem Kapitänleutnant, dessen Adresse aufzutreiben gewesen wäre, persönlich zu übergeben. Ich glaube, er hörte nicht zu. Auf dem hinteren Perron standen wir eingekeilt. Um uns das Gedränge eines späten Sonntagvormittags. Zwischen Haltestelle und Haltestelle öffnete er die Hand zwischen seinem und meinem Hemd; und beide schauten wir steil nach unten, auf das strenge dunkle Metall mit dem noch nassen, zerknautschten Band. Auf Höhe des Gutes Saspe hielt sich Mahlke den Orden, ohne das Band zu binden, provisorisch vor den Knoten seines Schlipses und versuchte, die Verglasung des Perrons als Spiegel zu benutzen. Ich lenkte, solange die Bahn hielt und auf die Gegenbahn wartete, meinen Blick über eines seiner Ohren, über den verfallenen Sasper Friedhof, an krummen Strandkiefern vorbei in Richtung Flugplatz und hatte Glück: eine dicke dreimotorige JU 52 landete umständlich und half mir.
Aber das Sonntagsvolk in der Bahn wird ohnehin kein Auge für die Schaustellungen des Großen Mahlke frei gehabt haben. Mit Kleinkindern, gerollten Bademänteln, mit der Strandmüdigkeit mußte laut und über Bänke hinweg gekämpft werden. Einsetzendes abebbendes gesteigertes unterdrücktes und in Schlaf übergehendes Kindergreinen und Quengeln schwappte vom Vorder- zum Hinterperron und zurück – auch Gerüche, die jede Milch gesäuert hätten. An der Endstation Brunshöferweg stiegen wir aus, und Mahlke sagte über die Schulter, er habe vor, die Mittagsruhe des Oberstudienrates Waldemar Klohse zu stören; er habe vor, all eine zu
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