Katz und Maus
seiner angeblich erfolgreichen Taucherei geflüstert. Beweise fehlten: weder brachte er eine verquollene Schallplatte noch eine vergammelte Schnee-Eulenfeder hoch. Dennoch hielten sich die Gerüchte; und als zweieinhalb Jahre
später jene ziemlich mysteriöse Jugendbande, als deren Anführer Störtebeker genannt wurde, aufflog, soll während des Prozesses abermals von unserem Kahn und dem Versteck im Inneren der Brückenaufbauten die Rede gewesen sein. Aber da war ich schon beim Barras, erfuhr nur satzweise davon, weil mir Hochwürden Gusewski bis zum Schluß und solange die Post mitmachte, seelsorgende bis freundschaftliche Briefe schrieb. Und in einem der letzten Briefe vom Januar fünfundvierzig – als die russischen Armeen schon gegen Elbing vorstießen – stand etwas von einem schändlichen Überfall geschrieben, den sich die sogenannte Stäuberbande auf die Herz-Jesu-Kirche, in der Hochwürden Wiehnke amtierte, geleistet hatte. Der Bursche Störtebeker wurde in dem Brief unter seinem Familiennamen erwähnt; auch glaube ich, etwas von einem dreijährigen Kind gelesen zu haben, das die Bande als Talismann, Maskottchen in Ehren gehalten hatte. Manchmal bin ich sicher, manchmal zweifle ich, ob in Gusewskis letztem oder vorletztem Brief – das Bündel ging mit Tagebuch im Brotbeutel bei Cottbus verloren – auch jener Kahn genannt wurde, der vor Beginn der Sommerferien zweiundvierzig seinen großen Tag feiern durfte, aber während der Ferien an Glanz verlor; denn noch heute schmeckt mir der besagte Sommer flau, weil Mahlke fehlte – Kein Sommer ohne Mahlke!
Nicht, daß wir verzweifelten, da es ihn nicht mehr gab. Besonders ich war froh, ihn los zu sein, ihm nicht hinterdrein zu müssen; aber warum wohl meldete ich mich gleich nach Schulanfang bei Hochwürden Gusewski und bot mich als Meßdiener an? Hochwürden war hinter randloser Brille tausendfältig erfreut und wurde hinter gleicher Brille faltenlos ernst, als ich, so nebenbei, beim Ausbürsten seiner Soutane – wir saßen in der Sakristei – nach Joachim Mahlke fragte. Ruhig, mit einer Hand an der Brille, tönte er: »Gewiß, nach wie vor ist er einer der Eifrigsten, versäumt keine Sonntagsmesse, war allerdings während vier Wochen in einem sogenannten Wehrertüchtigungslager; ich will doch nicht glauben müssen, daß Sie nur Mahlke wegen wieder vor dem Altar dienen wollen. Äußern Sie sich, Pilenz!« Nun war knappe zwei Wochen zuvor bei uns die Nachricht eingetroffen, mein Bruder Klaus wäre als Unteroffizier am Kuban gefallen. Seinen Tod gab ich als Grund fürs wieder aufgenommene Ministrieren vor dem Altar an. Hochwürden Gusewski schien mir zu glauben oder gab sich Mühe, mir und meiner aufgewerteten Frömmigkeit Glauben zu schenken.
So wenig ich mich erinnere, aus welchen Einzelheiten sich Hotten Sonntags oder Winters Gesicht zusammensetzte, Gusewski hatte dichtes drahtiges krausschwarzes, nur vereinzelt eisgraues Haar auf schuppiger, die Soutane zeichnender Kopfhaut. Peinlich genau rasiert saß ihm die Tonsur bläulich am Hinterkopf. Birkenhaarwasser und Palmolivseife bestimmten seinen Geruch. Manchmal rauchte er Orientzigaretten mit Hilfe einer kompliziert geschliffenen Bernsteinspitze. Er galt als fortschrittlich und spielte mit den Ministranten, auch mit den Erstkommunizierenden Tischtennis in der Sakristei. Alles Weißzeug, das Humerale und die Albe ließ er sich von einer Frau Tolkmit oder, wenn die Alte erkrankt war, von geschickten Ministranten, oft von mir, übermäßig stärken. Jeden Manipel, jede Stola, alle Meßgewänder, ob sie in Schränken lagen oder hingen, behängte und beschwerte er eigenhändig mit Lavendelsäckchen. Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, fuhr er mir mit kleiner unbehaarter Hand vom Nacken abwärts unters Hemd bis zum Bund der Turnhose, ließ dann die Hand zurückkehren, weil die Hose keinen dehnbaren Gummizug hatte, und ich sie vorne mit eingenähten Stoffbändern schnürte. Ich machte mir nicht viel aus dem versuchten Griff, zumal Hochwürden Gusewski in seiner freundlichen, oft jungenhaften Art meine Sympathie besaß. Noch heute erinnere ich mich seiner mit spöttischem Wohlwollen; deshalb kein Wort mehr über gelegentliche und harmlose, im Grunde nur meine katholische Seele suchende Handgriffe. Insgesamt war er ein Priester wie hundert andere, unterhielt eine gutausgewählte Bibliothek für seine wenig lesende Arbeitergemeinde, war nicht übertrieben eifrig, gläubig mit Einschränkungen – zum Beispiel in
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