Katz und Maus
war.
Mein Sonntag führte mich nicht ins Cafe. Ich hatte Hochwürden Gusewski versprochen, während der Frühmesse den Meßdiener abzugeben. Mahlke, mit buntem Schlips, kam kurz nach sieben und vermochte mit den üblichen fünf alten Weiblein die Leere der ehemaligen Turnhalle nicht zu vertuschen. Er kommunizierte wie immer links außen. Am Vorabend, gleich nach den Untersuchungen in der Schule mußte er die Marienkapelle aufgesucht und gebeichtet haben; oder Du hast in der Herz-Iesu-Kirche aus diesen oder jenen Gründen Hochwürden Wiehnke ins Ohr geflüstert.
Gusewski hielt mich auf, stellte Fragen nach meinem Bruder, der in Rußland stand, womöglich nicht mehr stand, denn seit Wochen fehlte jede Nachricht von ihm. Es kann sein, daß er mir, weil ich wieder einmal sämtliche Vespermäntel und die Albe gebügelt und gestärkt hatte, zwei Rollen Himbeerdrops schenkte, sicher ist: Mahlke war schon weg, als ich die Sakristei verließ. Er mochte eine Bahn Vorsprung haben. Ich stieg am Max-Halbe-Platz in den Anhänger der Neun. Schilling sprang Magdeburger Straße auf, als die Bahn schon ziemlich Fahrt machte. Wir sprachen von etwas ganz anderem. Vielleicht bot ich ihm von jenen Himbeerdrops an, die Hoch würden Gusewski herausgerückt hatte. Zwischen Gut-Saspe und Friedhof-Saspe überholten wir Hotten Sonntag. Er hockte auf einem Damenfahrrad und hatte die kleine Pokriefke rittlings auf dem Gepäckträger. Immer noch zeigte das spirrige Ding glatte Froschschenkel, war aber nicht mehr überall platt. Der Fahrwind bewies die Länge ihrer Haare.
Da wir an der Weiche Saspe die Gegenbahn abwarten mußten, fuhr uns Hotten Sonntag mit Tulla wieder davon. An der Haltestelle Brösen warteten beide. Das Fahrrad lehnte an einem Papierkorb der Seebäderverwaltung. Sie spielten Brüderchen und Schwesterchen, hielten sich eingehakt: kleiner Finger und kleiner Finger. Julias Kleid war blau blau Waschblau und überall zu kurz zu eng zu blau. Die Rolle aus Bademänteln und so weiter trug Hotten Sonntag. Wir verstanden es, uns wortlos anzublicken, Bescheid zu wissen und aus geladenem Schweigen den Satz zu fördern: »Klar doch, nur Mahlke, wer sonst? Doller Bursche.«
Tulla wollte Genaues hören, drängelte und tippte mit spitzem Finger. Aber keiner von uns nannte das Ding beim Namen. Es blieb beim lapidaren »Wersonstalsmahlke«, beim »Klardoch«. Nur Schilling, nein, ich führte einen neuen Begriff ein, sagte in die Lücke zwischen Hotten Sonntags Kopf und Tullas Kleinkopf: »Der Große Mahlke, Das hat, das kann nur, das tat der Große Mahlke.« Und bei diesem Titel blieb es. Alle früheren Versuche, das Wort Mahlke mit Spitznamen zu verkleben, scheiterten nach kurzer Zeit. . An »Suppenhuhn« erinnere ich mich; auch nannten wir ihn, wenn er abseits stand, »Schlucker« oder »Der Schlucker«. Aber erst mein spontaner Ruf: »Das tat der Große Mahlke!« erwies sich als lebensfähig. Und so soll auf diesem Papier dann und wann »Der Große Mahlke« gesagt werden, wenn Joachim Mahlke gemeint ist. An der Kasse wurden wir Tulla los. Sie zog ins Damenbad ab und spannte mit Schulterblättern den Kleiderstoff. Vom verandaartigen Vorbau des Herrenbades bot sich, blaß und von locker ziehenden Schönwetterwolken beschattet, die See. Wasser: neunzehn. Zu dritt und ohne suchen zu müssen, sahen wir hinter der zweiten Sandbank jemanden in Rückenlage wild und mit viel Schaum in Richtung Aufbauten des Minensuchbootes schwimmen. Wir wurden einig: nur einer sollte ihm nachpullen. Schilling und ich schlugen Hotten Sonntag vor; der wollte lieber mit Tulla Pokriefke hinter der Sonnenwand des Familienbades liegen und Seesand auf Froschschenkel streuen. Schilling gab vor, zuviel gefrühstückt zu haben: »Eier und so weiter. Meine Oma aus Krampitz hat Hühner und bringt manchmal auf Sonntag ne knappe Mandel.« Mir fiel nichts ein. Hatte schon vor der Messe gefrühstückt. Hielt mich nur selten an das Gebot der Nüchternheit. Zudem hatten weder Schilling noch Hotten Sonntag »Der Große Mahlke« gesagt, ich sagte, schwamm ihm nach und beeilte mich nicht besonders. Auf dem Laufsteg zwischen Damenbad und Familienbad gab es beinahe Krach, weil Tulla Pokriefke mitschwimmen wollte. Sie hockte, ein Gliederbündel, auf dem Geländer. Immer noch und seit Sommern klebte dieser mausgraue, überall grobgestopfte Kinderbadeanzug an ihr: das bißchen Brust gequetscht, die Schenkel abgeschnürt, und zwischen den Beinen eine vom verfilzten Stoff nachgeformte
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