Katz und Maus
gehen – auch sei es sinnlos, auf ihn zu warten.
Klohse wohnte – das war bekannt – in der Baumbachallee. Durch den gekachelten Tunnel im Bahndamm begleitete ich ihn, ließ den Großen Mahlke dann abziehen: er ging nicht beeilt, eher in stumpfwinkligem Zickzack. Links hielt er die Enden des Bandes zwischen Daumen und Zeigefinger, wirbelte den Orden und benutzte ihn als Propeller und Antrieb zur Baumbachallee.
Verfluchter Plan und verfluchte Ausführung! Hättest Du das Ding hoch in die Linden geschleudert: es gab ja in jedem, von Laubbäumen beschatteten Villenviertel Elstern genug, die den Artikel an sich genommen, zum heimlichen Vorrat, zum silbernen Teelöffel, zum Ring und zur Brosche, zum großen Klimbim getragen hätten.
Mahlke fehlte am Montag. Die Klasse munkelte. Studienrat Brunies gab Deutsch. Er lutschte schon wieder CebionTabletten, die er an Schüler hätte austeilen sollen. Aufgeschlagen lag Eichendorff. Süß verklebt kam sein Altmännernuscheln vom Katheder: einige Seiten aus dem Taugenichts, dann Mühlenrad Ringlein Spielmann – Es zogen zwei rüstige Gesellen - Hast ein Reh du lieb vor ändern – Schläft ein Lied in allen Dingen – Laue Luft kommt blau geflossen – Von Mahlke kein Wort.
Erst am Dienstag kam Oberstudienrat Klohse mit grauem Aktendeckel, stellte sich neben Studienrat Erdmann – der rieb verlegen die Hände – und über unsere Köpfe hinweg tönte Klohse mit kühlem Atem, Unerhörtes habe sich zugetragen, und das in schicksalhaften Zeiten, da alle zusammenhalten müßten. Der Betreffende – Klohse nannte keinen Namen – sei bereits von der Anstalt entfernt worden. Man habe aber davon abgesehen, andere Instanzen, etwa die Gebietsführung zu benachrichtigen. Allen Schülern werde nahegelegt, mannhaftes Schweigen walten zu lassen und im Sinne der Schule würdeloses Verhalten wettzumachen. Das sei der Wunsch eines ehemaligen Schülers, des Kapitänleutnant, U-BootKommandanten und Träger des und so weiter . . .«
Zwar flog der Große Mahlke, wurde aber – während des Krieges ist kaum jemand endgültig aus dem Gymnasium geworfen worden – in die Horst-Wessel-Oberschule überwiesen. Auch dort hängte man seine Geschichte nicht an die große Glocke.
IX
Die Horst-Wessel-Oberschule hieß vor dem Krieg KronprinzWilhelm-Realgymnasium und roch ähnlich verstaubt wie unsere Schule. Das Gebäude, ich meine, neunzehnhundertzwölf erbaut, nur äußerlich freundlicher als unser Backsteinkasten, lag im Süden des Vorortes, am Fuße des Jäschkemaler Waldes; folglich kreuzte sich Mahlkes Schulweg mit meinem Schulweg nirgends, als im Herbst wieder einmal die Schulzeit begann.
Aber auch während der Großen Ferien blieb er verschollen – ein Sommer ohne Mahlke – denn es hieß, er hätte sich in ein Wehrertüchtigungslager mit der Möglichkeit vormilitärischer Funkerausbildung gemeldet. Weder in Brösen noch in der Badeanstalt Glettkau zeigte er seinen Sonnenbrand. Weil es sinnlos blieb, ihn in der Marienkapelle zu suchen, konnte Hochwürden Gusewski, solange die Ferien dauerten, mit einem seiner zuverlässigsten Ministranten nicht mehr rechnen: der Ministrant Pilenz sagte sich: Keine Messe ohne Mahlke.
Wir Übriggebliebenen hockten dennoch ab und zu aber lustlos auf dem Kahn. Hotten Sonntag versuchte vergeblich, den Zugang zur Funkerkabine zu finden. Auch bei den Tertianern wisperten immer neue Gerüchte von einer dollen und verrückt eingerichteten Bude im Inneren der Brückenaufbauten. Ein Bengel, mit Augen nah beieinander, den die Stinte untergeben Störtebeker nannten, tauchte unermüdlich. Tulla Pokriefkes Cousin, ein eher schmächtiges Kerlchen, war ein oder zweimal auf dem Kahn, tauchte aber nie. Entweder in Gedanken oder wortwörtlich versuchte ich, mit ihm ein Gespräch über Tulla anzufangen; mir lag an ihr. Aber wie mich hatte sie den Cousin – womit wohl? – mit ihrer verfilzten Wolle, mit ihrem unauflöslichen Tischlerleimgeruch verseucht. »Das geht Sie einen Scheißdreck an!« sagte der Cousin zu mir – oder hätte er sagen können. Tulla fehlte auf dem Kahn, blieb in der Badeanstalt, hatte aber mit Hotten Sonntag Schluß gemacht. Zwar war ich zweimal mit ihr im Kino, hatte aber dennoch kein Glück: ins Kino ging sie mit jedem. Es hieß, sie hätte sich in jenen Störtebeker vergafft, unglücklich vergafft, denn der Störtebeker zeigte sich vorerst in unseren Kahn vergafft und suchte den Zugang zu Mahlkes Bude. Gegen Ende der Großen Ferien wurde viel von
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