Katz und Maus
Mösenfalte. Sie schimpfte mit krauser Nase und gespreizten Zehen. Als Tulla gegen irgendein Geschenk - Hotten Sonntag flüsterte in ihr Ohr – aufs Mitschwimmen verzichten wollte, schoben sich vier fünf Tertianer, gute Schwimmer, die ich schon oft auf dem Kahn gesehen hatte, übers Geländer, hatten wohl etwas aufgeschnappt, denn sie wollten zum Kahn, auch wenn sie den Kahn als Ziel nicht angaben und sagten: »Wir wollen ganz woanders hin. Zur Mole oder mal sehen.« Hotten Sonntag sorgte für mich: »Wer ihm nachschwimmt, bekommt die Eier poliert.«
Mit flachem Kopfsprung ging ich vom Laufsteg ab, schwamm los, wechselte oft die Lage und beeilte mich nicht. Während ich schwamm und während ich schreibe, versuchte und versuche ich an Tulla Pokriefke zu denken, denn ich wollte und will nicht immer an Mahlke denken. Deswegen schwamm ich in Rückenlage, deswegen schreibe ich: Schwamm in Rückenlage. Nur so konnte und kann ich Tulla Pokriefke knochig, in mausgrauer Wolle auf dem Geländer hocken sehen: kleiner verrückter schmerzhafter wird sie; denn uns allen saß Tulla als Splitter im Fleisch - war aber, als ich die zweite Sandbank hinter mir hatte, weggewischt, kein Punkt Splitter Loch mehr, nicht mehr schwamm ich von Tulla fort, schwamm Mahlke entgegen, schreibe in Deine Richtung: Ich schwamm in Brustlage und beeilte mich nicht.
Und zwischen zwei Stößen notiert – das Wasser trägt ja: Es war der letzte Sonntag vor den Großen Ferien. Was war damals los. Die Krim hatten sie, und Rommel war in Nordafrika wieder mal im Kommen. Seit Ostern saßen wir in der Untersekunda. Esch und Hotten Sonntag hatten sich freiwillig gemeldet, beide zur Luftwaffe, kamen aber später, genau wie ich, der ich zögerte und zögerte, mal zur Marine mal nicht zur Marine wollte, zu den Panzergrenadieren, einer Sorte bessere Infanterie. Mahlke meldete sich nicht, machte wie immer eine Ausnahme, sagte: »Bei Euch piept's wohl!« Dabei boten sich ihm, der ein Jahr älter war, die besten Chancen vor uns rauszukommen; aber wer schreibt, darf nicht vorgreifen.
Die letzten zweihundert Meter schwamm ich noch zögernder ohne Wechsel in Brustlage, um bei Atem zu bleiben. Der Große Mahlke saß wie immer im Schatten des Kompaßhäuschens. Nur seine Knie hatten Sonne. Er mußte schon einmal unten gewesen sein. Die gegurgelten Reste einer Ouvertüre schwankten im schalen Wind und kamen mir mit dem Kleinkram der Wellen entgegen. Das waren so seine Effekte: tauchte in seine Bude, kurbelte den Kasten, legte die Platte auf, kam mit triefendem Mittelscheitel wieder hoch, hockte sich in den Schatten und hörte, während die Möwen über dem Kahn den Glauben an Seelenwanderung mit Geschrei belegten, seiner Musik zu.
Nein, ich will mich, bevor es zu spät ist, noch einmal auf den Rücken werfen und große kartoffelsackförmige Wolken betrachten, die immer und in ordentlicher Gleichmäßigkeit aus dem Putziger Wiek über unseren Kahn in südöstliche Richtung wanderten und für wechselndes Licht, auch für wolkenlang Kühle sorgten. Nie mehr – oder nur noch auf jener Ausstellung, die Pater Alban mit meiner Hilfe vor etwa zwei Jahren in unserem Kolpinghaus zeigte: »Kinder unserer Pfarre malen den Sommer.« – sah ich so schöne, so weiße, so kartoffelsackförmige Wolken. Drum nochmal, bevor der verbogene Rost des Kahnes faßbar wird: Warum Ich? Warum nicht Hotten Sonntag oder Schilling? Hätte ja die Tertianer zum Kahn schicken können oder Tulla mit Hotten Sonntag. Auch alle zusammen mit Tulla dazwischen, zumal die Tertianer, besonders einer, der wohl mit Tulla verwandt war – denn alle nannten ihn Tullas Cousin – dem spirrigen Ding hinterdrein waren. Ich- schwamm aber alleine, ließ Schilling aufpassen, daß keiner mir nachschwamm und beeilte mich nicht. Ich, Pilenz – was tut mein Vorname zur Sache – früher mal Ministrant, wollte weiß nicht was alles werden, nun Sekretär im Kolpinghaus, kann von dem Zauber nicht lassen, lese Bloy, die Gnostiker, Böll, Friedrich Heer und oft betroffen in des guten alten Augustinus Bekenntnissen, diskutiere bei zu schwarzem Tee nächtelang das Blut Christi, die Trinität und das Sakrament der Gnade mit Pater Alban, einem aufgeschlossenen, halbwegs gläubigen Franziskaner, erzähle ihm von Mahlke und Mahlkes Jungfrau, von Mahlkes Gurgel und Mahlkes Tante, von Mahlkes Mittelscheitel, Zuckerwasser, Grammophon, SchneeEule, Schraubenzieher, Wollpuscheln, Leuchtknöpfen, von Katz und Maus und mea culpa, auch wie
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