Kay Scarpetta 16: Scarpetta
doch gar keine Chance.«
»Richtig«, stimmte Benton zu.
»Ich finde, das mit dem Zement an den Füßen, das hatte noch Stil. Manchmal gibt es eben Sachzwänge. Darf ich mich erkundigen, wie es dem anderen kleinen ... dem Zwerg geht? Ich weiß, ich sollte dieses Wort nicht benutzen, weil es als herabwürdigend gilt.«
Oscar Bane hatte sich beim FBI gemeldet und war bei bester Gesundheit. Aus seiner linken Gesäßhälfte war ein GPSMikrochip entfernt worden. Nun ruhte er sich, wie Benton es ausdrückte, in der luxuriösen psychiatrischen Privatabteilung des McLean Hospital aus, die allgemein als Pavillon bezeichnet wurde. Er machte eine Therapie und hatte vor allem das erlösende Gefühl, endlich in Sicherheit zu sein, bis er sein Leben wieder in den Griff bekam. Scarpetta und Benton wollten am kommenden Morgen nach Belmont zurückkehren.
»Es geht ihm recht gut«, erwiderte Benton. »Ich richte ihm aus, dass Sie sich nach seinem Befinden erkundigt haben.« »Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte Louie. »Getränke? Calamari?« »Kay?«, fragte Benton.
»Scotch. Ihren besten Single Malt.« »Für mich das Gleiche.«
»Sie bekommen ein Tröpfchen aus meinem Privatvorrat«, antwortete Louie mit einem Zwinkern. »Ich habe ein paar neue Sorten da, die Sie unbedingt kosten müssen. Oder müssen Sie noch fahren?«
»Pur«, erwiderte Scarpetta, worauf Louie zur Bar ging. Hinter ihr, an einem Tisch am Fenster mit Blick auf die Second Avenue, saß allein ein vierschrötiger Mann mit einem weißen Stetson. Das Getränk vor ihm sah aus wie ein Wodka oder Gin pur mit einer Zitronenscheibe. Hin und wieder reckte er den Hals, um sich über den Stand des Basketballspiels zu informieren, das ohne Ton in dem Fernseher über seinem Kopf lief. Scarpetta konnte einen Blick auf einen massiven Kiefer, wulstige Lippen und buschige weiße Koteletten erhaschen. Der Mann starrte ins Leere und schob sein Glas in kleinen Kreisen auf der weißen Tischdecke herum. Etwas an ihm kam ihr bekannt vor, und sie erinnerte sich an eine Nachrichtenmeldung im Fernsehen. Erschrocken wurde ihr klar, dass sie Jake Loudin vor sich hatte.
Aber das war doch nicht möglich. Er saß ja in Haft. Außerdem war dieser Mann kleiner und magerer. Offenbar ein unterbeschäftigter Schauspieler.
Benton studierte die Speisekarte. Sein Gesicht wurde von den laminierten Seiten verborgen, auf denen ganz vorn Elaines Konterfei prangte.
»Du siehst aus wie der Rosarote Panther, wenn er jemanden beschattet«, meinte Scarpetta zu ihm.
Benton klappte die Speisekarte zu und legte sie auf den Tisch. »Hast du dir schon eine kleine Ansprache überlegt? Schließlich hast du dieses Treffen ja nicht nur als geselliges Beisammensein geplant. Ich wollte es nur erwähnt haben, bevor die anderen kommen.«
»Nichts Bestimmtes«, erwiderte Scarpetta. »Ich wollte nur meinen Gefühlen Luft machen, wie wir alle es tun sollten, bevor wir nach Hause fliegen. Ich wünschte, wir müssten nicht abreisen. Wir sollten hier bei den anderen sein.«
»Lucy kommt wieder in Ordnung.«
Tränen traten Scarpetta in die Augen. Sie hatte es noch immer nicht verkraftet. Ein Gefühl des Grauens hielt ihr Herz umklammert wie eine eiskalte Hand, und selbst im Schlaf vergaß sie nicht, dass sie beinahe einen geliebten Menschen verloren hätte.
»Es wird ihr nichts geschehen.« Benton rückte seinen Stuhl näher heran und nahm ihre Hand. »Ansonsten wäre es nämlich schon längst passiert.«
Scarpetta tupfte sich mit der Serviette die Augen ab und blickte zu dem stummen Fernseher hinauf, als interessierte sie sich für Basketball.
Sie räusperte sich. »Aber es ist fast unmöglich«, meinte sie. »Ist es nicht. Wie ich immer sage, sind diese Revolver gerade deshalb so gefährlich, weil sie so leicht sind. In diesem Fall war es ein Glück für uns. Sie haben einen unglaublichen Rückstoß. Als wäre einem ein Pferd auf die Hand getreten. Vermutlich hat er die Waffe beim Abdrücken verrissen. Außerdem hat sich Lucy sicher geduckt. Es war ein kleines Kaliber mit geringer Geschwindigkeit. Hinzu kommt, dass es ihr noch nicht bestimmt ist, uns zu verlassen. Sie wird uns erhalten bleiben. Alles wird gut. Mehr als gut«, beteuerte Benton, presste zuerst die Lippen auf ihre Hand und küsste sie dann zärtlich auf den Mund.
Früher hatte er seine Zuneigung nie so öffentlich gezeigt.
Doch inzwischen schien es ihn nicht mehr zu stören. Wenn es Gotham Gotcha noch gegeben hätte,
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