Generation Wodka
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Vorwort
Erinnern Sie sich noch an Lukas W.? Lukas war 16, als er 2007 in einer Berliner Kneipe nach 45 Tequila zusammenbrach â klinisch tot. Vier Wochen lang wurde Lukas noch künstlich beatmet, doch als sich keine Besserung abzeichnete, lieÃen die Angehörigen die Maschinen schlieÃlich abstellen.
45 Tequila à 0,2 Deziliter, das sind rund 250 Gramm Alkohol oder 4,2 Promille Blutalkoholgehalt â bei einem Jugendlichen! Deutschland war geschockt, âKomasaufenâ wurde quasi über Nacht ein Begriff. Und plötzlich tauchten sie überall auf, die alarmierenden Statistiken über den missbräuchlichen Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Alkohol. Lukas blieb kein Einzelfall, etliche seiner Altersgenossen tranken sich in einen Rausch, aus dem sie nicht wieder erwachten. Dem Schock folgten hitzige Debatten, Gesetzesverschärfungen, unzählige Vorschläge für mehr oder minder wirksame PräventivmaÃnahmen â und ein lautes Medienecho.
Doch unsere Mediengesellschaft hat ihre Tücken. Aktuelle Nachrichten 24 Stunden lang auf dem Handy, im Radio oder auf dem Bildschirm â das zwingt uns Medienschaffende in eine ständige Hab-Acht-Stellung mit dem Fokus auf tagesaktuelle Ereignisse ... und lässt uns leider oft längerfristige gesellschaftliche Entwicklungen aus dem Blick verlieren. Und so sehen, hören und lesen wir zwar immer wieder von dramatischen Fällen wie dem von Lukas W., aber das Erschrecken der Gesellschaft über Kinder und Jugendliche, die sich buchstäblich totsaufen , ist verblasst. Und damit auch die Sensibilisierung für dieses Problem.
Warum ist dieses Buch wichtig? Es ist wichtig, weil es zeigt, wie bedauerlich selbstverständlich das âSaufenâ in der Welt unserer Kinder und Jugendlichen inzwischen ist. Es ist wichtig, weil mittlerweile jeder zehnte Jugendliche unter 12 Jahren Alkohol trinkt â und zwar regelmäÃig! Es ist wichtig, weil diese jugendlichen Trinker immer jünger werden. Und dieses Buch ist wichtig, weil eine âGeneration Wodkaâ heranwächst, die unter Alkoholeinfluss um sich schlägt und dabei andere Menschen verletzt oder sogar tötet. Weil Menschen heranwachsen, deren körperliche und geistige Entwicklung wie bei keiner Generation zuvor durch Alkoholkonsum beeinträchtigt wird.
Alkohol wird in unserer Gesellschaft toleriert, Trinken ist normaler Bestandteil der Erwachsenenwelt. Und wer als Jugendlicher mithalten will, so die allgemeingültige Regel, muss auch mittrinken. Alkoholismus wird in der Gesellschaft zunehmend bagatellisiert, die Gefahr des Missbrauchs und die Tatsache, dass sich aus dem Ritual, âmal eben ein paar Gläschen zu kippenâ, im Handumdrehen eine schwerwiegende Krankheit entwickeln kann, wird nicht mehr wahrgenommen. Warum also wundern wir uns, dass Jugendliche sich nichts dabei denken, wenn sie unkontrolliert bis zur Ohnmacht trinken?
In diesem Buch erzählen Jugendliche, die diesen Teufelskreis durchbrochen haben, ihre Geschichte. Es handelt aber auch von denen, die es nicht geschafft haben. Und schlieÃlich stellt dieses Buch Forderungen auf: nach einem Alkoholverbot auf StraÃen, Plätzen und an Tankstellen, nach einer 0,5-Promille-Grenze für Fahrgäste in Bussen und Bahnen, nach einem deutlichen Warnhinweis auf jeder Flasche, die Alkohol enthält, und nach einem Lizenzentzug für alle Verkaufsstellen, die rechtswidrig Alkohol an Minderjährige abgeben. Dieses Buch stellt klar, dass wir das Problem endlich in den Griff bekommen müssen, weil sich der Alkohol sonst immer mehr Kinder und Jugendliche greift.
Caren Miosga
Moderatorin der ARD-Tagesthemen
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Das Experiment
Derzeit läuft im Herzen Europas ein gewaltiges gesellschaftliches Experiment. Es ist ein Experiment, über das keine Ethikkommission beraten und grünes Licht gegeben hätte. Es ist ein Experiment, das weitgehend unbeaufsichtigt abläuft. Und es ist ein Experiment ohne Auftraggeber. Inhalt des Experiments ist folgende Versuchsanordnung: Stelle jungen Menschen Alkohol in unbegrenzter Menge zur Verfügung â und schau, was passiert.
Es passiert viel in diesen Tagen. Der Missbrauch der Droge Alkohol nimmt zu. Zwar nicht in allen Schichten und allen Regionen, aber dafür in bestimmten Gruppierungen in einem AusmaÃ, wie man sich das früher nicht hätte vorstellen können. Kinder im Grundschulalter trinken sich
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