Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
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Das Internetvideo »Irrer Huene«
beschrieben und kommentiert von Rechtsanwalt
Dr. Christopher Dannewitz
Clip 1/4
Länge: 01 min. 42 sec.
Aufrufe: 1.444.567
Bewertung: *****
Hamburg, Außenalster. 13. August. Ein Freitag, übrigens. Freitag, der dreizehnte. Über das ominöse Datum hinaus dokumentiert die digitale Einblendung die fortlaufende Uhrzeit – zu Beginn 11:22 Uhr.
Im Übrigen kann man von der ersten Sekunde an hören , was da auf einen zukommt in Dagmars Video. Man braucht nur die Lautstärke hochzuregeln, um hinter den Vordergrundgeräuschen zwei weitere herauszuhorchen: das Auspuffgeknatter eines geländegängigen Motorrads (gemeinhin als Enduro bekannt) und das zweitönige Einsatzsignal der republikanischen Ordnungskräfte. Das Martinshorn. Dies noch schwach, aber unverkennbar. Täää täää ! Täää täää ! Täää täää ! Das ewige markige, gallige, törichte Echo der Millionenstadt.
Formatfüllend zu sehen ist in dem Clip zunächst nur das wackelnde Abbild einer blütenweißen Prachtfassade, flächenweise verdeckt von Baumkronen. (Davor eine Staffel kahler Masten von Leihsegelbooten.) Hochformatige Sprossenfenster über fünf Etagen, gekrönt von einem grünen Kupferdach; vor einer Gaube die Majuskeln ATLANTIC.
Währenddessen zu hören, direkt am Mikro: »Da wohnen wir, und jetzt sind wir auf einem Alsterdampfer und legen gerade ab.« Dagmars rheinische Intonation. Ein bißchen kratzig und kurzatmig, aber gut verständlich, so daß Dagmars ungebetener anonymer Webmaster – Monate später – bei der Bearbeitung fürs Internet auf Untertitel verzichten konnte.
Es bebt, das Bild, schwillt dann ruckartig ins Nah-Unscharfe und zoomzuckt wieder zurück. Dagmar hatte am Vorabend einen Campari zuviel genossen. Außerdem dieselte das Sektfrühstück nach. Zu schweigen davon, daß ihr die schwüle Witterung zu schaffen machte. Doch gedreht werden mußte – schon als Rechenschaftsbericht für den Göttergatten.
Die Vordergrundgeräusche auf der Tonspur des Camcorders: Straßenverkehr zwischen Hotel Atlantic und Alsterufer, ferienbedingt spärlich. Maschinengebrumm der Saselbek , von dessen halboffenem Achterdeck aus Dagmar filmte. Ferner die letzte Strophe eines Sangessolisten aus dem Fahrgastraum (»… de Lüüd för dat Schipp, de weern ok blots schanghait«) samt Chorantwort der anderen föftein Schlumper Shantyboys (»To my hoo day, hoo day, ho-ho-ho-ho…«). Beides ein bißchen zu breitbeinig. Ein bißchen . Zwei, drei μ. Die Stickigkeit, die Stickigkeit unter Deck.
Und dann die Stimme Ellens, Dagmars Busenfreundin aus Hanau, die den Alarm des Streifenwagens nachäfft: » Wäääwäää, wäääwäää, wäääwäää … Klingt eische’tlisch wie e Karnevalstusch, findst net aach?«
In diesem Fall war der Webmaster auf Nummer sicher gegangen und hatte die Szene untertitelt:
Klingt eigentlich wie ein Karnevalstusch, findest du nicht auch?
Und zum entrückten Hexengelächter einer Möwe wiederum Dagmars Stimme, wiederum direkt am Mikro (wobei das Atlantic wiederum erbebt): »Nää.« (Ohne Untertitel.) Sie war einfach allzu gründlich fokussiert, um das allzu spitze Ohr ihrer Freundin würdigen zu können. Denn grad vollstreckte sie einen ihrer unwiderstehlichen Reißschwenks – und zwar jenen, der die beispiellose Internetkarriere ihres Werkes begründen sollte.
»Alstermonster!« »Amok-Huene!« »Real Splatter!« Dies noch die sachlichsten Stichwörter, unter denen das in vier Clips gegliederte Video im weltweiten Netz kursiert. Und seinen sog. Kultstatus bis heute behauptet.
Wobei der meistaufgerufene Clip eben diese hundertzweisekündige Anfangssequenz ist, obwohl bloß zweit- oder drittspektakulärste von allen vieren. Die nutzerfreundliche Kürze dürfte eine Ursache dafür sein. Hauptgrund aber die verquere, zufällige Vollkommenheit, mit der die Bilder, obwohl zweifelsohne authentisch, wirken wie inszeniert. Wie inszeniert von einem Regisseur, der formalen Dilettantismus simuliert, um die Aussagekraft zu steigern.
Dagmar brauchte Dilettantismus nicht zu simulieren. Dreh-Erfahrungen mit ihrem Weihnachtsgeschenk hatte sie lediglich im letzten Arnoldsweiler Karneval gesammelt.
Bis hierhin, in der ›Atlantic-Phase‹ des Clips, verstreichen die ersten vierundzwanzig Sekunden. Die kommenden zehn zählen zur ›Phase des Apokalyptischen Reiters‹: Nach dem Ruck weg vom Atlantic – kein Schnitt, wohlgemerkt! – übernimmt der Betrachter des Clips
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