Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Anblick nur von den Fällen, die er bearbeitete. Als er auf dem Bett saß und sie betrachtete, hatte er sich gefühlt, als hätte ein wahnsinniges Ungeheuer die Flügel einer Taube geknickt oder die zarte Haut eines Kindes verletzt. Als hätte Marino versucht, sie zu verschlingen.
»Hast du ihn je als Rivalen empfunden?« Dr. Thomas' Stimme klang weit entfernt, während Benton Wunden vor Augen hatte, an die er sich lieber nicht erinnern wollte.
»Das Schlimme ist, dass ich, was ihn angeht, eigentlich gar nichts empfunden habe«, hörte er sich sagen.
»Er hat mehr Zeit mit Kay verbracht als du«, wandte Dr. Thomas ein. »Manche Menschen könnten das als Konkurrenz sehen. Oder sogar als Bedrohung.«
»Kay hat sich nie von ihm angezogen gefühlt. Und wenn er der letzte Mensch auf dem Planeten gewesen wäre.«
»Vermutlich würden wir die Antwort erst bekommen, wenn die beiden wirklich die letzten Menschen auf dem Planeten wären, und das hieße, dass du und ich es dann auch nicht wüssten.«
»Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen«, sagte Benton. »Menschen zu beschützen ist mein Job. Die, die ich liebe, mich selbst oder auch wildfremde Leute. Es spielt keine Rolle. Darin bin ich Fachmann, ansonsten wäre ich schon längst tot. Und viele andere ebenfalls.«
» Ja, Mr. Bond, aber du warst an diesem Abend nicht zu Hause, sondern hier.«
Dr. Thomas hätte ihm genauso gut einen Magenschwinger verpassen können. Benton schwieg. Stattdessen bog er die Büroklammer vor und zurück, bis sie zerbrach.
» Machst du dir Vorwürfe, Benton ?«
»Das hatten wir doch schon mal. Außerdem habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen«, antwortete er. »Ich bin einfach müde.«
»Ja, wir haben die verschiedensten Umstände und Möglichkeiten durchgesprochen. Zum Beispiel, dass du nicht dazu stehst, wie sehr du dich von dem, was Marino Kay angetan hat, persönlich beleidigt fühlst. Übrigens hast du sie anschließend sehr schnell geheiratet. Vielleicht zu schnell? Weil du glaubtest, alles zusammenhalten zu müssen, nachdem du sie nicht beschützt und die Tat nicht verhindert hattest? Eigentlich unterscheidet es sich nicht groß von deiner Herangehensweise an Kriminalfalle. Du übernimmst die Ermittlungen, organisierst sie, kümmerst dich auch ums kleinste Detail und lässt das Problem sicherheitshalber nicht an dich heran. Allerdings gelten diese Regeln nicht in unserem Privatleben. Du hast mir gerade gesagt, dass du Mordgedanken gegen Marino hegst. In unseren letzten Gesprächen haben wir das erörtert, was du als dein sexuelles Verhältnis zu Kay bezeichnest, auch wenn sie nicht unbedingt etwas davon bemerkt. Ist das noch immer so? Weiß sie noch immer nicht, dass du andere Frauen auf eine Weise wahrnimmst, die dich beunruhigt? Hat sich daran etwas geändert?«
»Es ist doch wohl normal, dass Männer sich von anderen Frauen angezogen fühlen.« »Nur bei Männern?«, spöttelte Dr. Thomas. »Du weißt genau, was ich meine.«
»Und wovon fühlt Kay sich angezogen?«
»Ich versuche, ihr ein guter Ehemann zu sein«, antwortete Benton. »Ich liebe sie. Ich bin in sie verliebt.«
»Machst du dir Sorgen, du könntest eine Affäre anfangen und sie betrügen?«
»Nein, ganz und gar nicht. Das würde ich niemals tun.« »Nein. Niemals. Du hast Connie betrogen und sie wegen Kay verlassen. Aber das ist ja schon lange her.«
»Ich habe noch nie jemanden so geliebt wie Kay« , erwiderte Benton. »Ich könnte mir das nie verzeihen.« »Meine Frage war, ob du dir selbst vertraust.« »Ich weiß nicht.«
»Und vertraust du ihr? Sie ist sehr attraktiv und hat wegen ihrer Auftritte bei CNN inzwischen sicher eine Menge Fans. Eine einflussreiche und gutaussehende Frau, die nur auszuwählen bräuchte. Was ist mit ihrem Trainer? Du hast selbst gesagt, du könntest den Gedanken nicht ertragen, dass er sie anfasst.«
»Ich bin froh, dass sie auf ihre Figur achtet, und dafür eignet sich ein Trainer ausgezeichnet. Er verhindert, dass Menschen sich beim Sport verletzen, insbesondere, wenn sie noch nie mit Gewichten gearbeitet haben und keine zwanzig mehr sind.«
»Er heißt Kit, richtig?«
Benton konnte Kit nicht ausstehen. Er fand immer eine Ausrede, den Fitnessraum in ihrem Apartmenthaus nicht zu benutzen, wenn Scarpetta dort mit Kit trainierte.
»Tatsache ist«, fuhr Dr. Thomas fort, »dass es nichts an Kays Verhalten ändern wird, ob du ihr vertraust oder nicht. Die Entscheidung
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