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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Namen und seine Wohnung zu erfahren, zu entziehen verstanden hat, so wäre ich vor Kummer darüber zugrunde gegangen... Hier, lesen Sie seinen Brief. Aber kennen Sie ihn denn?«
    Gottfried las folgende Zeilen:
    »Herr Baron Bourlac,
    Die Summen, die wir auf Anordnung einer wohltätigen Dame für Sie ausgegeben haben, belaufen sich auf fünfzehntausend Franken. Nehmen Sie Kenntnis davon, um sie uns selbst oder durch Ihre Deszendenten wieder zurückzugeben, wenn die Wohlhabenheit Ihrer Familie es gestatten wird. Sobald das möglich sein wird, zahlen Sie den geschuldeten Betrag bei dem Bankhause der Brüder Mongenod ein. Möge Gott Ihnen Ihre Schuld vergeben!«
    Fünf Kreuze bildeten die geheimnisvolle Unterschrift dieses Briefes, den Gottfried wieder zurückgab.
    »Die fünf Kreuze sind ...« sagte er zu sich.
    »Ach, mein Herr,« sagte der Alte, »Sie, der Sie alles wissen, der von der geheimnisvollen Dame entsandt wurde ... nennen Sie mir doch ihren Namen!«
    »Ihren Namen?« rief Gottfried. »Ihren Namen? Unglückseliger! Fragen Sie niemals nach ihm! Versuchen Sie niemals, ihn zu erfahren! Ach, gnädige Frau,« sagte Gottfried und faßte mit zitternden Händen die Hand der Frau de Mergi, »sorgen Sie dafür, daß er in Unkenntnis bleibe und auch nicht den geringsten Schritt in dieser Sache tue!«
    Tiefstes Erstaunen ließ den Vater, die Tochter und August erstarren.
    »Aber wer ...?« fragte Wanda.
    »Nun, die, die Ihre Tochter gerettet,« fuhr Gottfried fort und sah den Alten an, »die sie Ihnen jung, schön, frisch, neubelebt wiedergeschenkt, die sie aus dem Grabe hat auferstehen lassen; die Ihnen erspart hat, daß Ihr Enkelsohn ehrlos wurde, die Ihnen ein glückliches, ehrenvolles Alter geschenkt hat und die Retterin von Ihnen dreien geworden ist ...«
    Er stockte.
    »Das ist eine Frau, die Sie unschuldig auf zwanzig Jahre ins Zuchthaus geschickt haben!« rief Gottfried dem Baron Bourlac zu; »die Sie in Ihrem Amt mit den grausamsten Beschimpfungen überhäuft, deren heiliges Wesen Sie schimpflich verdächtigt und der Sie eine reizende Tochter entrissen haben, um sie dem schrecklichsten Tode zu überantworten, denn sie starb auf dem Schafott! ...«
    Als Gottfried sah, daß Wanda ohnmächtig auf einen Sessel gesunken war, eilte er über den Korridor in die Allee d'Antin und fing an, aus Leibeskräften zu laufen.
    »Wenn du dir meine Verzeihung verdienen willst«, sagte der Baron Bourlac zu seinem Enkel, »dann folge diesem Manne und suche herauszubekommen, wo er wohnt! ... «
    August flog davon wie ein Pfeil.
    Am nächsten Morgen klopfte der Baron Bourlac um einhalb neun Uhr an die alte gelbe Tür des Hauses la Chanterie in der Rue Chanoinesse und fragte beim Portier nach Frau de la Chanterie, der auf die Freitreppe hinwies. Es war glücklicherweise die Zeit der Frühstücksstunde, und Gottfried hatte durch eins der Fenster, die dem Korridor Licht gaben, den Baron im Hofe bemerkt; er hatte gerade noch Zeit, hinunterzugehen, in den Salon zu stürzen, in dem alle versammelt waren, und zu rufen:
    »Der Baron Bourlac! ...«
    Als sie diesen Namen hörte, zog sich Frau de la Chanterie, von dem Abbé de Vèze gestützt, in ihr Zimmer zurück.
    »Du kommst hier nicht herein, du Satansbraten!« rief Manon ihm zu, die den Generalstaatsanwalt wiedererkannte und sich vor die Tür des Salons hinstellte. »Willst du die gnädige Frau töten?«
    »Vorwärts, Manon, mach dem Herrn Platz«, sagte Herr Alain.
    Manon fiel auf einen Stuhl, als ob sie ihre Beine nicht mehr tragen wollten.
    »Meine Herren,« sagte der Baron in tief bewegtem Tone, als er Gottfried und Herrn Joseph erkannte und sich vor den beiden andern verneigt hatte, »die Wohltat gibt auch dem Verpflichteten Rechte!«
    »Sie haben keine Verpflichtungen gegen uns, mein Herr,« sagte der gute Alain, »sondern nur gegen Gott...«
    »Sie sind heilige Männer, und Sie besitzen die Ruhe der Heiligen«, sagte der alte Richter. »Aber Sie werden mich anhören! ... Ich weiß, daß die übermenschlichen Wohltaten, mit denen ich seit anderthalb Jahren überhäuft werde, das Werk einer Person sind, die ich bei der Erfüllung meiner Pflicht schwer verletzt habe; fünfzehn Jahre waren nötig, bis ich mich von ihrer Unschuld überzeugte, und das, meine Herren, sind die einzigen Gewissensbisse, die ich im Rückblick auf die Ausübung meiner Tätigkeit empfunden habe. – Hören Sie mich an! Ich habe nicht mehr lange zu leben, aber ich will das Wenige vom Leben, was mir noch bleibt,

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