Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
und äußerte den Wunsch, ein anderes anzufangen.
»Früher« , sagte er, »wäre ein Mann in meiner Lage ins Kloster gegangen; aber wir haben ja keine Mönchsorden mehr ...«
» Ziehen Sie nur zu der gnädigen Frau, wenn sie Sie als Pensionär aufnehmen will,« sagte Friedrich Mongenod, nachdem er mit Frau de la Chanterie einen Blick gewechselt hatte; »verkaufen Sie Ihre Rentenpapiere nicht, sondern lassen Sie sie mir. Geben Sie mir ein genaues Verzeichnis Ihrer Verpflichtungen, ich werde die Zahlungsfristen mit Ihren Gläubigern vereinbaren, Sie werden dann ungefähr hundertfünfzig Franken monatliches Einkommen haben. Zwei Jahre dauert es, bis Ihre Angelegenheiten geordnet sein werden. Während dieser zwei Jahre werden Sie an Ihrem neuen Aufenthaltsorte genügend Muße haben, an einen anderen Beruf zu denken, vor allem im Zusammenleben mit Persönlichkeiten, die Ihnen gute Ratschläge geben können.«
Louis Mongenod brachte jetzt hundert Banknoten zu tausend Franken und übergab sie Frau de la Chanterie. Dann reichte Gottfried seiner zukünftigen Wirtin den Arm und führte sie zu ihrem Wagen.
»Also auf baldiges Wiedersehn«, sagte sie in freundlichem Tone. »Um welche Zeit treffe ich Sie zu Hause, gnädige Frau?« fragte Gottfried.
»In zwei Stunden«.
» Dann habe ich Spielraum, meine Möbel inzwischen zu verkaufen« , sagte er und empfahl sich.
Während der kurzen Zeit, wo er Arm in Arm mit Frau de la Chanterie gegangen war, sah Gottfried sie immer mit der Glorie umstrahlt, die die Worte Louis Mongenods: »Ihr Saldo beträgt eine Million sechshunderttausend Franken« über diese Frau ausgegossen hatten, deren Leben sich in der Verborgenheit des Klosters Notre-Dame abspielte. Der Gedanke: sie muß reich sein! ließ sie ihn mit völlig andern Augen betrachten. ›Wie alt mag sie wohl sein?‹ fragte er sich. Und vor seinem Geiste spielte sich schon ein Roman während seines Aufenthaltes in der Rue Chanoinesse ab. ›Sie hat ein so vornehmes Auftreten! Sollte sie Bankgeschäfte machen?‹ sagte er sich.
In unserer Zeit würden von tausend jungen Männern in Gottfrieds Lage neunhundertneunundneunzig auf den Gedanken gekommen sein, diese Frau zu heiraten.
Ein Möbelhändler, der auch ein wenig Tapezierer und hauptsächlich Vermieter möblierter Zimmer war, gab Gottfried ungefähr dreitausend Franken für alles, was er verkaufen wollte, und überließ ihm die Möbel noch für die Tage, während deren die häßliche Wohnung in der Rue Chanoinesse in Ordnung gebracht wurde, in die sich der Gemütsleidende nun sofort begab. Er ließ einen Maler, dessen Adresse ihm Frau de la Chanterie nannte, kommen, der es übernahm, binnen einer Woche die Decke weiß anzustreichen, die Fenster zu säubern und das Holzwerk und den Fußboden neu zu malen. Gottfried maß die Zimmer aus, um sie vollständig mit billigem grünem Teppichstoff ausschlagen zu lassen. Er wünschte seine Zellen mit schlichtester Einförmigkeit auszustatten. Frau de la Chanterie stimmte dem zu. Sie berechnete mit Manons Hilfe, wieviel Schirting für die Fenstervorhänge und für die eines bescheidenen eisernen Bettes erforderlich war; dann übernahm sie die Anschaffung und Herstellung für einen Preis, dessen Billigkeit Gottfried überraschte. Mit den mitgebrachten Möbeln kostete ihn die Ausstattung seiner Wohnung nicht mehr als sechshundert Franken.
»Ich werde also ungefähr tausend Herrn Mongenod übergeben können.«
»Wir führen hier«, sagte Frau de la Chanterie, »ein christliches Leben, das, wie Sie wissen, sich mit dem vielen überflüssigen Luxus, an dem Sie noch zu sehr hängen, schlecht verträgt.«
Während sie ihrem zukünftigen Pensionär Ratschläge gab, betrachtete sie einen Diamanten, der in dem Ring funkelte, mit dem Gottfrieds blaue Krawatte zusammengehalten wurde.
»Ich spreche mit Ihnen nur davon,« fuhr sie fort, »weil ich sehe, daß Sie die Absicht haben, mit dem Leben der Zerstreuungen, über das Sie sich gegen Herrn Mongenod beklagt haben, zu brechen.«
Gottfried betrachtete Frau de la Chanterie, während er sich an dem Wohlklang ihrer klaren Stimme erfreute; er prüfte ihr ganz weißes Gesicht, das einem jener ernsten kalten holländischen ähnelte, die der Pinsel der Flämischen Schule so gut wiedergegeben hat und auf denen man sich keine Runzeln denken kann.
›Sie ist weiß und rund!‹ sagte er sich, als er fortging; ›aber sie hat sehr viel weiße Haare ...‹
Wie alle schwachen Naturen hatte sich Gottfried
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