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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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heimliche Kunst der Dienerin bei ständigem Gebrauch erhalten. Diese Männer trugen sozusagen die Livree einer systematisch geordneten Lebensweise, sie gehorchten alle demselben Gedanken, in ihren Blicken ließ sich dieselbe Anschauung lesen, ihr Gesichtsausdruck verkündete stille Ergebung und eine sich den andern mitteilende Seelenruhe.
    »Wäre es indiskret, gnädige Frau,« sagte Gottfried, »nach dem Namen der Herren zu fragen? Ich bin bereit, ihnen die Geschichte meines Lebens mitzuteilen; kann ich nicht auch von dem ihrigen so viel erfahren, wie ich schicklicherweise wissen darf? »Dieser Herr«, erwiderte Frau de la Chanterie und wies auf den großen hageren Mann, »heißt Herr Nikolaus; er ist pensionierter Gendarmerieoberst mit dem Range eines Brigadegenerals. – Dieser Herr«, fuhr sie fort und zeigte auf den kleinen dicken Mann, »ist ein ehemaliger Rat am obersten Pariser Gerichtshof, der sein Amt im Jahre 1850 aufgegeben hat; er heißt Herr Joseph. Obgleich Sie erst seit gestern bei uns sind, will ich Ihnen doch mitteilen, daß Herr Nikolaus in der Gesellschaft den Namen Marquis de Montauran trug, und Herr Joseph den Namen Lecamus, Baron de Tresnes; aber für uns wie für jeden andern existieren diese Namen nicht mehr, die Herren besitzen keine Erben; sie haben die Vergessenheit, in die ihre Familien geraten werden, vorweggenommen und sind ganz einfach Herr Nikolaus und Herr Joseph geworden, wie Sie Herr Gottfried sein werden.«
    Als er die beiden Namen nennen hörte, den einen in den Annalen des Royalismus durch die Katastrophe, die den Aufstand der Chouans zu Beginn des Konsulats beendete, so berühmt geworden, den andern in den Annalen des alten Pariser Parlaments mit solcher Verehrung genannt, konnte Gottfried ein Erzittern nicht unterdrücken; aber als er diese zwei Reste der beiden stärksten Stützen der zusammengebrochenen Monarchie, des Adels und des Richterstandes, betrachtete, bemerkte er keinerlei Bewegung in ihren Gesichtszügen, keinerlei Veränderung des Ausdrucks, der einen weltlichen Gedanken verriet. Die beiden Männer erinnerten sich nicht mehr oder wollten sich nicht mehr an das erinnern, was sie einstmals gewesen waren. Das war eine erste Lektion für Gottfried.
    »Jeder dieser Namen, meine Herren, enthält eine ganze Geschichte«, sagte er respektvoll.
    »Die Geschichte unserer Zeit,« antwortete Herr Joseph, »die Geschichte von Ruinen.«
    »Sie befinden sich damit in guter Gesellschaft«, bemerkte Herr Alain lächelnd.
    Dieser Mann kann mit zwei Worten beschrieben werden: er war ein Pariser Kleinbürger, ein gutmütiger Bürger mit einem runden, von weissen Haaren umrahmten Gesicht, das infolge eines beständigen Lächelns etwas fade wirkte.
    Was den Priester, den Abbé de Vèze anlangt, so sagte sein Stand alles. Einen Priester, der seinen Beruf ausfüllt, erkennt man auf den ersten Blick, den er Einem oder den man ihm zuwirft.
    Was Gottfried gleich anfangs auffiel, das war die tiefe Verehrung, die die vier Pensionäre der Frau de la Chanterie bezeigten; sie schienen sich alle, selbst der Priester, trotz der erhabenen Position, die ihm sein Amt verlieh, in Gegenwart einer Königin zu befinden. Gottfried fiel auch die Mäßigkeit aller Tischgenossen auf. Jeder aß nur so viel, wie das Nahrungsbedürfnis erforderte. Frau de la Chanterie nahm, wie fast alle andern, nur einen einzigen Pfirsich und eine halbe Weintraube; aber sie sagte zu ihrem neuen Pensionär, er solle diese Zurückhaltung nicht nachahmen, und bot ihm nacheinander von jedem Gerichte an.
    Durch diesen Beginn des Zusammenlebens wurde Gottfrieds Neugier aufs äußerste erregt. Als man nach dem Frühstück in den Salon zurückkehrte, ließ man ihn allein, und Frau de la Chanterie hielt in einer Fensternische eine kleine geheime Besprechung mit den vier Freunden ab, diese Konferenz währte ohne jede Erregung beinahe eine halbe Stunde. Man sprach mit leiser Stimme und wechselte Worte, die jeder wohlüberlegt zu haben schien. Von Zeit zu Zeit blätterten Herr Alain und Herr Joseph in einem Notizbuche.
    »Gehen Sie in den Faubourg«, sagte Frau de la Chanterie zu Herrn Joseph, der sich entfernte.
    Das war das erste Wort, das Gottfried verstehen konnte.
    »Und Sie in das Viertel Saint-Marceau«, fuhr sie fort und wandte sich an Herrn Nikolaus. »Bearbeiten Sie den Faubourg Saint-Germain und versuchen Sie, dort das, was wir brauchen, zu finden ... fuhr sie, den Abbé de Vèze ansehend, fort, der sich sogleich

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