Kein Augenblick zu früh (German Edition)
dass sie Rachel Stirling heißt und das Unternehmen ihrem Vater gehört. Aber manchmal arbeitet sie eben zu hart daran. Sie ist gut und hat es eigentlich nicht nötig, sich ständig zu beweisen.
Als alle gehen wollen, winkt sie Jack und mir zu, noch einen Augenblick zu bleiben. Ich seufze leise, aber Jack geht bereits zu ihr hinüber.
»Sorry, dass wir zu spät dran waren«, sagt er.
»Familienprobleme?«, fragt Rachel wie beiläufig, blickt ihn aber durchdringend an – mit Augen, die sonst groß und blau und (wie ich glaube, täuschend) unschuldig wirken.
»Meine Schwester hat mir gerade mitgeteilt, dass sie mich besuchen kommt«, sagt Jack. »Sie kommt morgen Mittag an.«
»Was für eine Überraschung«, sagt Rachel. Sie lächelt zwar noch, aber dahinter verbirgt sich leichte Verärgerung. Ihre Augen werden schmaler.
»Damit komme ich schon zurecht«, sagt Jack, der ihren skeptischen Blick offenbar ebenfalls bemerkt hat. »Kein Problem.«
Rachel betrachtet ihn prüfend, einen Stapel Papiere an die Brust gepresst. »Hoffen wir’s«, sagt sie mit gezwungenem Lächeln. »Wir können jetzt keine Ablenkung brauchen, Lieutenant.«
»Ist mir klar«, sagt Jack, ohne ihrem Blick auszuweichen.
Sie wendet sich zu mir. »Wir hätten gern deine Meinung gehört, Alex.« Mir fällt auf, dass sie mich mit dem Vornamen anredet und nicht wie Jack mit »Lieutenant«.
Jack zwinkert mir über ihre Schulter hinweg zu, grinst und geht zur Tür. Ich verziehe keine Miene. Rachel kommt einen winzigen Schritt näher, sodass sie fast auf Tuchfühlung ist und ich zwischen ihr und dem Tisch eingeklemmt werde. Unwillkürlich blicke ich kurz hinunter und erhasche einen Blick auf den schwarzen Spitzenbesatz ihres BH im Ausschnitt. Schnell schaue ich wieder in ihr Gesicht.
»Heute Abend schon was vor?«, fragt sie. Dabei hält sie den Kopf ein wenig schief, wirft sich lässig das lange Haar über die Schulter und beißt sich leicht auf die dick mit Lipgloss geschminkte Unterlippe. Natürlich braucht sie nicht zu fragen, ob ich Bereitschaftsdienst habe. Sie weiß, dass das nicht der Fall ist, schließlich stellt sie die Bereitschaftspläne selbst auf.
Ich könnte nun einfach in den Köder beißen und sie einladen, mit mir auszugehen. Es ist nicht das erste Mal, dass sie Interesse signalisiert, aber bisher habe ich immer den Ahnungslosen gespielt. Wenn Jack wüsste, dass ich ihre Vorstöße schon mehrmals ignoriert habe, würde er nicht mehr locker lassen. Er würde wissen wollen, warum zum Teufel ich sie zurückweise, aber mir fällt dabei nur ein einziger Grund ein – dass ich nichts für sie empfinde. Rachel ist jemand, der daran gewöhnt ist, immer seinen Kopf durchzusetzen, alles zu bekommen, was sie sich nur wünscht, und die Leute ständig herumzukommandieren. Außerdem habe ich keine Lust, Privatsphäre und Beruf zu vermischen. Als ich noch zur Schule ging, habe ich das mal getan und die Folgen für meinen Notendurchschnitt waren katastrophal.
»Jack und ich sind heute Abend auf einen Drink verabredet«, sage ich schließlich. Rachel lässt den Blick nicht von mir. Ich setze eine undurchdringliche Miene auf, wie wir es im Kreuzverhörtraining gelernt haben, und wende mich zur Tür. »Ich muss ihn ein bisschen aufmuntern. Er macht sich Sorgen, weil seine Schwester zurückkommt.«
»Lila, richtig?«
Ich werfe ihr einen erstaunten Blick zu, weil sie ihren Namen kennt, bis mir einfällt, dass er in den Akten steht und dass Rachel vor der Besprechung bestimmt ihre Hausaufgaben gemacht hat. Sie macht sie immer.
»Ja, Lila«, sage ich.
Rachel entlässt mich mit einem knappen Nicken, lächelt gezwungen und marschiert zur Tür hinaus. Ihre High Heels klicken über den Boden, so hart und scharf wie Schüsse aus einer Maschinenpistole.
Jack deutet mit dem Kopf auf ein Mädchen, das sich neben uns auf einen Barhocker geschwungen hat. »Hey, Kumpel, die sieht doch super aus.«
Ich muss lachen. »Dachte, du hättest ein neues Kapitel aufgeschlagen?«
Zum ersten Mal im Leben hat Jack eine feste Freundin – im Unterschied zu den Bettpartnerinnen, deren Namen er schon am nächsten Morgen wieder vergessen hat und deshalb nie mehr anruft. Das ist wirklich was Neues und enthüllt eine ganz neue und leicht verwirrende Seite von ihm. Jack verliebt? Dann könnte man genauso gut an den Weihnachtsmann glauben oder an den ewigen Weltfrieden oder dass es für unsere Einheit tatsächlich eines Tages keine Arbeit mehr geben wird. Immerhin ist
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