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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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musste. Er hätte das Erdgeschoss mindestens zwei Meter über dem Meeresspiegel bauen müssen. Es steht gerade mal zehn Meter vom Ufer entfernt. Jedes Kind merkt, dass das so nicht geht. Die alte Frau war barfuß und trug einen leichten Hausmantel, fast durchscheinend und völlig durchweicht. Sie hatte kaum was darunter an. Nur einen Schlüpfer. Da wurde mir bewusst, dass es stark regnete und der böige Wind immer heftiger blies. Es sah mehr nach einem Wirbelsturm als nach einem einfachen Gewitter aus.
    Die Alte war eine robuste Frau mit kräftigen Händen. Ihr zupackendes Wesen zeigte sich in ihrem Blick und in ihrer Muskulatur.
    Ich sah genauer hin: Sie war nicht älter als sechzig. Mit runden, sehr festen Brüsten und großen, dunklen, mächtigen Brustwarzen, die aufgerichtet gegen den nassen Stoff des Hausmantels drückten. Es war eine Versuchung, hineinzubeißen und sie abzulecken. Die Frau war wie ein Fels in der Brandung, ein fester, solider Halt. Das gefiel mir. Manchmal setzt sich das Baby in mir gegen den Schweinehund durch.
    Im Haus gab es nur zwei schummrige Glühbirnen, die ein fahles Licht abgaben. Die Frau hatte sich an solche Situationen gewöhnt. Sie wusste genau, was zu tun war.
    »Komm. Pack hier mit an. Das ist Salzwasser, es zerfrisst alles.«
    Ich half ihr, einen alten russischen Fernseher auf einen Tisch zu hieven. Daneben stellten wir drei Kartons mit Kleidung und Schuhen, ein uraltes Radio und noch einen Karton mit Reis, Bohnen, Zucker und ein paar Konservendosen.
    Ich betrachtete unser Werk und begann mir Sorgen zu machen. Die Tischplatte war gerade einmal achtzig oder neunzig Zentimeter über dem Boden. Das Wasser konnte viel höher steigen. Ich sagte nichts, aber sie las meine Gedanken.
    »Keine Sorge, so hoch steigt das Wasser nicht. Ich wohne hier schon seit vierzig Jahren.«
    »Das Meer ist heute ziemlich wild. Es heißt, dass ein Wirbelsturm kommt.«
    »Ach, das ist doch nur Geschwätz. Irgendwas müssen sie ja erzählen, um sich ihre Brötchen zu verdienen. Hilf mir mit der Matratze.«
    Eigentlich war es nur eine Matte. Sie war recht schwer und stank höllisch. Wir hievten sie auf die Betonablage in der Küche. Alles wirkte schmutzig, klebrig, alt, verlassen. Es gab fast keine Möbel. Es herrschte eine Atmosphäre von Kargheit und größter Unerschütterlichkeit, gemischt mit Nachlässigkeit, Verlassenheit und Dreck. In diesem Moment fiel der Strom aus. Oder er wurde abgeschaltet, um Unfällen vorzubeugen. Es war zappenduster.
    »Rühr dich nicht vom Fleck, mein Sohn, ich hab da schon was parat.«
    Sie zündete eine Kerze an. Ich hatte Gummischlappen an den Füßen. Das Wasser erreichte die Küche, und bald ging es mir bis zu den Knöcheln. Mit einem Sprung setzte ich mich auf die Ablage und streckte mich auf der nach Pisse stinkenden Matte aus. Um die Frau etwas aufzumuntern, sagte ich:
    »Jetzt wär eine Flasche Rum nicht schlecht.«
    »Für dich vielleicht. Ich hab noch nie im Leben getrunken. Ihr Männer löst alle Probleme durch Saufen.«
    »Nur ein paar Schluck, damit uns warm wird.«
    »Das ist nicht nötig. Ich hab noch nie getrunken oder geraucht. Und wenn ich überlege, was ich schon alles durchgemacht habe, hätte ich zwei Rumfabriken leersaufen müssen.«
    »Tja, wenn Sie meinen …«
    »Ganz im Gegensatz zu meinem Sohn, der säuft jeden Tag, raucht eine nach der anderen, trinkt Kaffee, ich sag immer zu ihm: Wenn du so weiter machst, bringst du dich ganz allein um. Er lebt in ständiger Anspannung.«
    »Ich hab ihn ein paar Mal mit Ihnen gesehen. Ich glaube, in einer Uniform …«
    »Er ist Busfahrer. Das Einzige, was er kann, ist Bus fahren. Ein nichtsnutziger Faulpelz. Kaum zu glauben, dass er mein Sohn ist.«
    Sie zog sich ins Dunkel zurück. Es war eine Flucht vor dem, woran sie sich bei diesem letzten Satz erinnert hatte. Die Kerze warf nur einen winzigen Schimmer. Sie konnte gleich ausgehen. Die Flamme flackerte in dem Luftzug, der durch die morschen Bretter drang. Die Frau sagte:
    »Sag ruhig du zu mir, sei nicht so förmlich. Auf wie alt schätzt du mich?«
    Ich wollte schon paar und sechzig sagen, aber bei Frauen muss man vorsichtig sein.
    »Bisschen über fünfzig.«
    »Ich bin einundsechzig. 1940 geboren. Und du?«
    »1950.«
    »Da sind wir ja fast gleich alt.«
    »Ja.«
    »Na ja, ihr Männer haltet euch einfach besser. Wir Frauen verblühen schnell.«
    Ich bekam das Gefühl, dass die Alte Abwechslung suchte. Ich sah genauer hin. Ja, die konnte man schon mal

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