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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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rannehmen. Vielleicht war sie gut im Bett. Sie war robust. Grob und wenig weiblich, aber womöglich eine Reserve für Notfälle und Zeiten des Mangels. Wir verfielen in Schweigen.
    Man hörte nur das Brüllen des Meeres und des Windes. Ich fühlte mich sehr gut dort, im Dunkeln, während ich dem anschwellenden Toben des Unwetters lauschte und mir eine derart herbe Frau ansah. Sie wirkte wie in den Boden gerammt. Schließlich sagte ich:
    »Lebst du wirklich schon seit vierzig Jahren hier?«
    »Äh … nein, schon länger. Vierzig ist mein Sohn. Ich bin im Jahr ‘56 vom Land hierher gezogen. Um hier zu wohnen, bei der Hausbesitzerin.«
    »Aha …«
    »Sie hat mich als Hausmädchen eingestellt. Ich sollte mich um die Zimmer kümmern.«
    »Mit sechzehn warst du eine richtige Puppe.«
    »Hoppla, mein Junge, du bist wohl Hellseher. Jesses, Maria und Joseph!«
    Sie bekreuzigte sich zweimal. Etwas verwirrt ging sie ans Fenster, öffnete es und sah hinaus. Man sah gar nichts. Es war stockdunkel. Wind- und Regenböen kamen herein. Sie schloss rasch das Fenster, verriegelte es und kehrte in den kleinen Teil des Raums zurück, der von der Kerze notdürftig erleuchtet wurde.
    »Sie haben dich Puppe genannt. Und du bist immer noch in Form.«
    »Woher weißt du das?«, fragte sie sehr ernst.
    Ich wusste überhaupt nichts, aber ich habe meine Tricks, um Leute zum Reden zu bringen. Also antwortete ich:
    »Manchmal bekomme ich was ins Ohr geflüstert.«
    »Von einem aus dem Kongo?«
    »Nein, von einem entlaufenen Sklaven und einem Indio.«
    »So so, du bist also ein ganzer Kerl. Befragst du sie auch selbst?«
    »Das tut nichts zur Sache, Puppe. Darüber reden wir ein andermal. Wo haben sie dich Puppe genannt? Sag schon, ich weiß es sowieso.«
    »Ich werd’s dir sagen. Mit dir kann man reden. Ich zeig dir bei Gelegenheit sogar ein paar Fotos von damals. Ich bin oft geknipst worden. Man soll sich ja nicht selber loben, aber die Wahrheit ist die Wahrheit. Die Besitzerin hier hatte nebenan eine Bar, und dahinter hatte sie Zimmer. Du weißt ja, wie das Leben war.«
    »Und du hast dort gekellnert.«
    »Sie hatte immer acht oder neun Kellnerinnen. Die holte sie sich vom Land. Ich war da … also … von 1956 bis ‘60, als sie die Bars zugemacht haben. Während dieser ganzen Zeit war ich nur die Puppe. Da hat’s nie eine Schönere gegeben oder eine mit ‘nem besseren Körper. Die Chefin sagte, ich würde ihr Glück bringen, weil … na ja, die Bar war jeden Abend voll, von Montag bis Sonntag …«
    »Du hast immer noch einen guten Hintern.«
    »Und hart wie Stein. Und gute Brüste. Ist bei mir von Natur aus so. Ein Geschenk Gottes. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele reiche Amerikaner herkamen, um sich von mir bedienen zu lassen. Manchmal einen ganzen Tag lang. Sie ließen mich nicht aus dem Zimmer. Und das Geld floss nur so. Ah, wenn ich an diese Zeit denke, würde ich am liebsten losheulen.«
    »Und dir hat nie einer ‘nen Heiratsantrag gemacht?«
    »Es gab einen aus Kalifornien, der war ganz verrückt nach mir. Aber er war Seemann. Mechaniker auf einem Schiff. Er hat mir immer Fotos gezeigt von seinem Haus, von seinen Eltern. Er hatte ‘ne Farm in Kalifornien. Ich hätte ihm fast nachgegeben, aber …«
    »Aber was?«
    »Ich mit einem Seemann? Ständig allein sein? Außerdem hätte ich mit seinen Eltern Englisch reden müssen … nein, nein, nein.«
    »Du hättest ausgesorgt gehabt.«
    »Er gefiel mir nicht. Ich hab nichts für ihn empfunden. Viel Zärtlichkeit, Geschenke, viel Geld, aber … Ich sag dir die Wahrheit: Er hatte einen Schwanz, der war so kurz wie der von einem Kind. Ich wusste nie, ob er drin ist oder draußen.«
    »Hahaha, das war ein ganz schönes Opfer!«
    »Und ich hab gedacht: das ganze Leben mit diesem Stummelschwanz? Nein, sonst fange ich bald an, ihn zu hassen, und dann wird’s nur noch schlimmer. Ich mag richtige Männer. Echte Kerle! Bei denen ich mich wie eine Frau fühle. Außerdem war er so ein Selbstloser, so ein bisschen bescheuert.«
    »Du stehst eher auf Perverse …«
    »Auf solche, die mich an der kurzen Leine führen.«
    Während sie redete, streichelte sie sich den Bauch und etwas darunter. Ich hatte den Eindruck, dass die Puppe über ihren Erinnerungen heiß geworden war und am liebsten an Ort und Stelle ein Nümmerchen geschoben hätte. Aber mir war nicht danach. Ein Mann von fünfzig Jahren mit Frau zu Hause läuft nicht mit einem Ständer rum, bereit, ihn ins erstbeste Loch zu stecken.

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