Kein bisschen Liebe
ihre Männer und ihre eigenen Schwierigkeiten.«
Mir fällt nichts mehr ein. Es gibt solche Phasen. Die Probleme suchen einen. Leute, die einander geliebt haben, hassen sich, und alles wird dunkel. Was soll ich ihr noch sagen? Ich gehe hinaus auf den Hof. Wir sind auf dem Land, und der Himmel ist wunderschön und klar. Die Luft ist frisch und angenehm. Es ist sehr dunkel und man sieht sämtliche Sterne. Ich rufe Miriam heraus. Ich umarme sie, küsse sie auf den Hals und sage:
»Schau nur, wie herrlich. Lass dich nicht kleinkriegen.«
»Ja, sehr schön. Aber ich lebe nicht in den Sternen. Ich lebe hier unten.«
Sie ging hinein und machte zwei Teller zurecht. Sie brachte sie hinaus in den Hof, und wir aßen im Stehen, gegen die Betonmauer der Waschküche gelehnt. Ein wenig weißen Reis, eine gekochte Banane und ein Spiegelei. Alles kalt und allzu fad.
»Miriam, hast du etwas Salz?«
»Nein. Hier gibt’s nicht mal Salz.«
Ich war hungrig und schluckte das Zeug runter. Wir redeten nicht mehr. Stille ist wichtig.
Ich hasse Shakespeare
Endlich habe ich mich durchgerungen und begonnen, meine Bibliothek auszumisten. Das mache ich alle vier oder fünf Jahre. Ich habe mir ausgerechnet, dass ich die Hälfte aller Bücher aussortieren und etwas über dreitausend Exemplare behalten könnte. Oder weniger. Wenn ich den Mut dazu hätte, würde ich nur die Nachschlagewerke behalten und etwa zwanzig Bücher. Der Rest ist es nicht wert. Vielleicht bringe ich nächstes Jahr mehr Entschlusskraft auf und lasse sie alle verschwinden. Ich weiß, dass ich meinem Sättigungspunkt jeden Tag näherkomme.
Im Gang vor dem Treppenhaus türmte ich einen großen Stapel vor der Wohnungstür auf. Die werde ich nach und nach verschenken. Ich war schon fast fertig. Es war so gegen elf Uhr vormittags. Da kam eine Dame an. Blond, sehr schlank, blauäugig, gute Manieren und ein Lächeln im Gesicht. Sie musste Amerikanerin sein. Mit ihrem Mann. Ebenso typisch. Sie waren wohl über sechzig, hatten sich gut gehalten. Ich musste kurz an einen Hengst und eine Stute aus Kentucky denken. Zwei wundervolle Vollblüter. Sie kamen schwitzend und schnaufend die Treppe hoch und stellten sich vor. Oder sie tat das, auf Spanisch. Er schüttelte mir nur brüsk die Hand und sagte: »Hi.«
»Guten Tag. Mein Name ist Margaret Gifford. Das ist mein Mann Thomas. Wir kommen aus South Dakota. Aus Rapid City, und …«
»Bitte, kommen Sie herein und erholen Sie sich ein wenig. Sie müssen erst mal zu Atem kommen.«
Ich bot ihnen ein Glas Wasser an. Wir unterhielten uns über das Übliche: den ständig kaputten Aufzug und die unerträglichen acht Stockwerke, die klaustrophobische Dunkelheit im Treppenhaus, die Hitze und die Feuchtigkeit.
Sie waren fasziniert von dem Meeresblick auf der Terrasse. Und entgeistert vom Rest. Von hier oben sieht die Stadt aus, als wäre sie bombardiert worden.
Margaret sagte zu mir:
»Entschuldigung, dass wir hier so hereinplatzen, aber wir verbringen unseren Urlaub in Montego Bay, und da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, auf einen Sprung nach Havanna zu kommen. Also … na ja, um ehrlich zu sein: Ich hatte das eigentlich ganz genau geplant. Ich habe hier die besten Jahre meines Lebens verbracht.«
»Hier in Havanna?«
»Nein, hier, genau hier. In diesem Penthouse. Vor vielen Jahren. Zwischen 1953 und 1957.«
»Jetzt sind das keine Penthouse-Wohnungen mehr. Jetzt sind es doghouse -Wohnungen.«
»Oh, sorry. Alles ist verfallen. Das hier war mal ein elegantes Gebäude. Was ist passiert? Ich verstehe nicht.«
Ich verstand sehr wohl. Ich verstand allzu gut. Und ich schwieg.
Sie kramte in ihrer Handtasche und zog einen gelben Umschlag mit alten Schwarzweißfotos heraus. Auf allen war eine lächelnde junge Frau zu sehen, hübsch und unbekümmert. Sie war angezogen wie die Models von Lana Lobell. Weite, plissierte Röcke. Luftige weiße Blusen mit diskreten Schleifchen und Spitzenbesatz auf der Brust. Weiße Plastikperlenketten, wie sie im Woolworth-›Ten-Cent-Store‹ verkauft wurden.
»Diese junge Frau bin ich.«
»Sie waren sehr hübsch.«
»Oh, danke. Es waren wundervolle Jahre. Ich habe Spanisch gelernt. Hatte meine erste Liebe, meinen ersten Job. Meine besten Jahre, ohne Zweifel.«
»Tja, ich habe hier meine schlechtesten Jahre verbracht. Und vielleicht auch die besten.«
»Seit wann wohnen Sie hier?«
»Seit ‘86. Seit fünfzehn Jahren.«
»Eine lange Zeit. Ich habe nur vier Jahre lang hier gewohnt. Herrliche
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