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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Glastür schnappte mit einem »Klack« hinter ihr zu und löste einen Klingelton aus. Beißender Chemiegeruch stieg ihr in die Nase. Er erinnerte an Alleskleber. Sie fragte sich flüchtig nach den Langzeitschäden einer Arbeit in dieser Umgebung und empfand es schon ärgerlich genug, dem auch nur kurzzeitig ausgesetzt zu werden.
    Der junge Mann hinter der Ladentheke, der offenbar hier arbeitete – wobei »arbeiten« in diesem Fall eine übertrieben höfliche Umschreibung war – trug einen spärlichen, weißen Kinnbart, Haare von einer Farbe, neben der jede Kinderkreide verblasste,
und so viele Piercings, dass er ohne weiteres als Windorgel hätte durchgehen können. Über seinen Nacken schlängelte sich ein Kabel zu den Ohrhörern. Die Musik hämmerte so laut, dass sie noch in Graces Brust widerhallte. Seine Tätowierungen waren zahlreich. Auf der einen stand STONE. Auf der anderen KILLJOY. Grace hätte ihm gern eine dritte mit FAULENZER verpasst.
    »Darf ich stören?«
    Er hob nicht einmal den Kopf.
    »Verzeihung!«, sagte sie etwas lauter.
    Wieder keine Reaktion.
    »Haben Sie was an den Ohren?«
    Diesmal hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. Er sah sie an. Seine Augen wurden schmal. Er fühlte sich ganz offenbar gestört. Widerwillig zog er die Ohrhörer heraus. »Kontrollabschnitt?«
    »Wie bitte?«
    »Kontrollabschnitt.«
    Ach so. Grace reichte ihm den Abschnitt. Sauerkrautbart fragte nach ihrem Namen.
    Sauerkrautbart – Grace gefiel der Spitzname immer besser – blätterte einen Kasten mit Fototüten durch, bevor er eine davon herauszog. Er riss den passenden Kontrollabschnitt ab und nannte einen exorbitanten Preis. Sie reichte ihm einen Gutscheincoupon, den sie mühsam aus ihrer Geldbörse ausgegraben hatte, und beobachtete, wie sich der Preis auf ein vernünftiges Maß reduzierte.
    Der junge Mann reichte ihr die Fototüte. Grace bedankte sich, doch ihr Gegenüber hatte längst die Ohrhörer wieder eingesteckt. Sie winkte ihm zu. »Danke für die zuvorkommende Bedienung«, murmelte sie. »Ich werde Sie weiterempfehlen.«
    Sauerkrautbart gähnte und vertiefte sich erneut in seine Zeitschrift. Wahrscheinlich die neueste Ausgabe des Magazins für HIGH-TECH-FAULENZER.
    Grace trat auf den Bürgersteig hinaus. Die Luft war kühl. Der
Herbst hatte den Sommer mit einem einzigen heftigen Sturm weggefegt. Das Laub hatte sich noch kaum verfärbt, und doch lag schon ein gewisses Prickeln in der Luft. In den Schaufensterdekorationen zeigten sich zum Teil bereits Vorboten von Halloween. Ihre Tochter Emma, in der dritten Klasse der Grundschule, hatte Jack überredet, einen fast zwei Meter großen aufblasbaren »Homer-Simpson-als-Frankenstein«-Ballon zu kaufen. Er sah, das musste sie zugeben, großartig aus. Ihre Kinder liebten Die Simpsons, was zu der Annahme verleitete, dass sie und Jack trotz bester Absichten bei der Erziehung nicht allzu viel falsch gemacht hatten.
    Grace hätte den Umschlag mit den Fotos am liebsten sofort geöffnet. Es war immer aufregend, die Ausbeute eines neuen Films zu begutachten. Es war ein Gefühl wie beim Öffnen einer Wundertüte, wie die gespannte Erwartung des Postboten, selbst wenn dann doch nur Rechnungen ins Haus flatterten. Digitale Fotografie konnte das trotz aller Vorzüge nicht bieten. Doch Grace musste sich gedulden. Die Schule war gleich zu Ende.
    Als ihr Saab die Heights Road hinaufkletterte, machte sie einen kleinen Umweg, der sie am Aussichtspunkt über die Stadt vorbeiführte. Von der Anhöhe aus konnte man die Skyline von Manhattan überblicken. Besonders nachts, wenn sie sich wie Diamanten auf schwarzem Samt aufgereiht präsentierte, ein Erlebnis. Nostalgische Sehnsucht regte sich in ihr. Sie liebte New York City. Bis vor vier Jahren war dieses wunderbare Eiland ihr Zuhause gewesen. Sie hatten ein Loft in der Charles Street im Village besessen. Jack hatte in der Forschungsabteilung einer großen pharmazeutischen Firma gearbeitet. Sie hatte in der Wohnung ihr Atelier gehabt, gemalt und verächtlich auf ihre Geschlechtsgenossinnen in den Vorstädten herabgeblickt, auf all die Frauen mit ihren Suburbans und Kordhosen und ihren auf Kleinkinder beschränkten Gesprächen. Mittlerweile war sie eine von ihnen.

    Grace parkte wie alle anderen Mütter an der Rückseite der Schule. Sie schaltete den Motor aus, griff nach dem Umschlag mit den Fotos und riss ihn auf. Der Film war vergangene Woche auf ihrem jährlichen Ausflug zur Apfelernte nach Chester aufgenommen worden. Jack

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