Kein Entrinnen
Mehrheit der Ermordeten zog man an seinem Ufer an Land. Die Leichen wurden hineingekippt und tauchten erst viel später wieder auf.
»Dort, und nicht auf einer für jedermann zugänglichen Autobahnbaustelle, wo sie sofort entdeckt werden!«, dachte Sheridan.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er hatte noch keine Minute Zeit gefunden, um sich zu rasieren und das Gesicht zu waschen. Die letzten Stunden hatte er damit zugebracht, das Amt des Bürgermeisters und des Gouverneurs zu informieren, einen Bericht über die ersten Erkenntnisse anzufertigen und Verstärkung bei den Gerichtsmedizinern anzufordern. Doch noch immer gab es zu Beginn dieser Ermittlungen nichts Konkretes.
Der Cop betrachtete die Fotos seiner Frau und ihrer fünf Kinder auf seinem Schreibtisch. Die Sheridans arbeiteten schon immer bei der Polizei. Fünf Generationen hintereinander. Aber an einem Morgen wie diesem, wo er unter Leichen regelrecht begraben war, fragte er sich, ob er wirklich wollte, dass einer seiner Söhne später die Stafette übernahm.
Seine Sprechanlage knackte.
»Chef, Captain Gardner und Professor Tajar sind eingetroffen«, sagte seine Sekretärin.
»Gut. Sie sollen eintreten.«
Schon sehr früh am Morgen hatte Sheridan durch seine Expertenteams erste Hypothesen über den Fall der vierundzwanzig Toten ausarbeiten lassen.
Bart Gardner war Leiter der Beobachtungseinheit für Sekten und parareligiöse Gruppierungen und arbeitete mit den Dienstellen von Neuengland zusammen.
Steven Tajar hatte einen Lehrstuhl für Psychologie an der Universität von Dartmouth.
Beide kannten Stu Sheridan seit langer Zeit. Sie nahmen vor seinem Schreibtisch Platz. Die Sekretärin trat schnell ein, um allen Kaffee zu servieren.
»Wir befinden uns in einer heiklen Situation«, wandte sich der Colonel anschließend an sie. »Das FBI hat heute Nacht eine totale Nachrichtensperre hinsichtlich der vierundzwanzig Leichen verhängt. Für uns bedeutet das: Es ist verboten, irgendjemandem Einsicht in die Akten zu gewähren, die Abteilungen dürfen untereinander nicht darüber sprechen, die Presse darf nicht darüber berichten, außenstehende Personen werden nicht informiert, keine Notiz darf gedruckt werden. Aber es heißt auch: Keine Ermittlungen von Tür zu Tür und keine Versendung von Fragebögen an eventuelle Zeugen in der Region mit der Aufforderung, sich zu melden. Daher werden wir kaum etwas Neues in Erfahrung bringen können. Uns sind die Hände gebunden. In zwei Stunden trifft ein Team des FBI ein. Es wird nicht lange dauern, bis sie den gesamten Fall an sich reißen. Diese Zusammenkunft unter uns drei muss vertraulich bleiben. Sie können weder an der nächsten Sitzung teilnehmen noch zu den Untersuchungen hinzugezogen werden. Aber wenn ich schon an das FBI übergeben muss, dann möchte ich zuvor wenigstens ein paar Dinge haben, die ich ihnen an den Kopf werfen kann. Um ihnen zu beweisen, dass wir hier nicht eine zweitklassige Hilfspolizei sind. Über die Fakten dieser Nacht habe ich Sie ja bereits in Kenntnis gesetzt. Ich höre.«
Captain Gardner ergriff als Erster das Wort.
»Der Fall, der uns heute beschäftigt, vereint viele Merkmale auf sich, die in der Vergangenheit bei Sektenopfern beobachtet wurden. Die Exaktheit der Schüsse, die sorgfältige Aneinanderreihung der Körper, die hohe Anzahl der Opfer, der offenkundige Wille, diese Opferungen publik zu machen, das alles deutet auf die Handlungsweise von Sektierern hin. Haben Sie Waffen am Tatort gefunden?«
»Nein«, antwortete Sheridan.
»Das bedeutet, dass andere Anhänger anwesend waren oder dass sogar der Guru selbst als Vollstrecker gehandelt hat. Die Entdeckung von Abzeichen an der Kleidung der Toten oder von Ritualgegenständen am Ort des Martyriums würde uns bei der Identifizierung der Sekte helfen.«
»Soweit ich gehört habe«, sagte der Colonel, »hatten die Toten von heute Nacht nichts bei sich, wodurch man sie identifizieren könnte, keinen Ausweis, keinen Schlüssel, keinen Anhänger, keine Uhr, kein Telefon und kein Kleingeld. Nichts. Alle Taschen waren ausgeleert. Wir haben vierundzwanzig Menschen ohne Namen; die DNA-Proben, Fingerabdrücke und Gebissabgleiche haben bis jetzt nichts ergeben. Außerdem finden sich an ihren Unterarmen und Händen keine Schießpulverrückstände. Weder Cordit noch sonst etwas. Das bedeutet, dass keiner der vierundzwanzig eine Waffe in Händen gehalten hat. Trotzdem endeten sie alle mit einer 45er-Kugel im Herzen. Es müssen also
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