Kein Fleisch macht gluecklich
unklar. Erst für die Zeit von vor etwa 100000 Jahren gibt es eindeutige Belege für das menschliche Jagdgeschick, »und auch damals waren die Ergebnisse der Großwildjagd noch keineswegs imposant«, stellt der Evolutionsbiologe Jared Diamond in seinem Buch Der dritte Schimpanse fest. Die meiste Zeit unserer Geschichte »waren wir keine kühnen Jäger, sondern geschickte Schimpansen, die sich mithilfe von Steinwerkzeugen pflanzliche Nahrung beschafften und Kleinwild erbeuteten«. Da allerdings sowohl Schimpansen als auch Bonobos als nächste Verwandte des Menschen zusammen jagten, ist es zumindest sehr gut möglich, dass bereits der gemeinsame Vorfahre der »drei Schimpansenarten«, zu denen auch der Mensch gehört, gejagt hat. Diese Interpretation ist wahrscheinlicher, als dass sich die Jagd bei Mensch, Bonobo und Schimpanse unabhängig voneinander entwickelt hat.
In unseren Köpfen oder auf musealen Darstellungen von Frühmenschen überwiegt bislang das Stereotyp des Großwildfleisch verzehrenden erfolgreichen Jägers, vermutlich, weil sich der Neandertaler in Europa während der Eiszeiten fast ausschließlich von Fleisch ernährt hat. Das sicherte offenbar auch in widrigen Klimaverhältnissen sein Überleben. Allerdings konnte er es sich nicht wie wir heute leisten, fast nur Muskelfleisch zu essen, versorgten ihn doch gerade die Innereien mit Vitaminen. Auch für den modernen Menschen, also den Homo sapiens , der Mittel- und Nordeuropa besiedelte, gilt als gesichert, dass er große Mengen Fleisch und Fisch aß. Diese extreme Fleischlastigkeit im alten Europa dürfte jedoch nicht der Beweis dafür sein, dass Fleisch zur artgemäßen Ernährung des Menschen gehört: Homo sapiens wurde in Europa erst vor 40000 Jahren dauerhaft sesshaft, und dieser Zeitraum ist zu kurz, um eine grundlegende genetische Anpassung an eine bestimmte Ernährungsweise bewirkt zu haben. Die Anatomie unserer Verdauungsorgane entstand über viel längere und weiter zurückreichende Zeiträume und weist auf einen großen Anteil pflanzlicher Nahrung hin. Auch verfügte der Mensch erst in den jüngsten Jahrtausenden über die nötige Technik, um Seefische und anderes Meeresgetier effizient jagen und so zum verlässlichen Grundnahrungsmittel machen zu können.
Zusammengefasst erscheint für den frühen Menschen eine flexible und gemischte, also omnivore (alles essende) Ernährungsstrategie wahrscheinlich. Dass er sich offenbar an ganz unterschiedliche Nahrungsangebote anpassen konnte, ist geradezu kennzeichnend. Gegenüber dem Australopithecus hat der Anteil an tierischer Nahrung vermutlich zugenommen. Wie groß dieser Anteil war und wie viel davon von der Jagd, von Aas oder gar aus dem Fischfang stammte, haben die Fossilfunde bisher nicht eindeutig verraten.
Völkerkunde
Die Rückschlüsse auf die Nahrungszusammenstellung der Steinzeitmenschen stützen sich oftmals auch auf die Ernährung von Wildbeutergesellschaften unserer Zeit. Ein Blick auf die heutigen Jäger und Sammler oder – je nach Sichtweise – Sammler und Jäger offenbart eine große Variation in den Ernährungsweisen, wozu es leider nur wenige genaue ethnografische Daten gibt. Das Spektrum reicht von vorwiegend pflanzlicher Nahrung, vor allem in tropischen Regionen, bis hin zu fast ausschließlich tierischer wie bei den Inuit im nördlichen Polargebiet. Wie vermutlich auch die Neandertaler beziehen traditionell lebende Inuit ihr Vitamin C nebst Blaubeeren vorwiegend aus tierischer Nahrung wie roher Walhaut, Fischeiern sowie der Leber von Rentier und Ringelrobbe. In puncto artgemäßer Ernährung des Menschen lassen sich mithin Argumente für alle möglichen Anteile an tierischer und pflanzlicher Nahrung finden.
Ob man aus der Lebensweise heutiger Wildbeutergesellschaften überhaupt Rückschlüsse auf die ursprüngliche Ernährung des Menschen ziehen kann, ist ziemlich fragwürdig. Ihre Ernährungsweisen ähneln vermutlich nur in wenigen Fällen denen des steinzeitlichen Homo sapiens aus der afrikanischen Savanne von vor 200000 bis 50000 Jahren. Viele der heutigen Wildbeuter bewohnen klimatisch eher ungünstige und damit wenig fruchtbare Gebiete, die sich erheblich von den überaus variablen klimatisch-ökologischen Bedingungen zu Zeiten der Menschwerdung unterscheiden. Darüber hinaus dürfte das Nahrungsspektrum »moderner« Jäger und Sammler viel größer sein als das unserer gemeinsamen steinzeitlichen Vorfahren, nicht zuletzt durch den Austausch dieser Gruppen mit
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