Kein Job fuer schwache Nerven
von einem Kasten Bier.
Jetzt klingt ein Kasten Bier immer noch tragbar. Aber unser Teppichkasten Bier hat keine Griffe. Also müsste man ihn, um ihn gut tragen zu können, eigentlich zusammenknüllen und mit den Armen an den Körper pressen wie ein kleines Kind. Aber dieses Kind will niemand in den Armen halten. Es ist das widerlichste Kind, das man sich denken kann. Trotz Schutzanzug, trotz dichter Handschuhe, dieses Kind will niemand näher an sich heranlassen, als unbedingt nötig. Dabei wäre es in diesem Fall sogar besonders nötig gewesen.
Denn dieses sperrige bierkastenschwere Teppichmonster ist zugleich auch unglaublich schmierig. Leichenflüssigkeit besteht nicht nur aus Wasser, sie besteht zu einem hohen Prozentsatz aus Fett, und bei einem übergewichtigen Herrn wie dem Verstorbenen ist der Fettanteil sogar besonders hoch, weil das Fett – anders als das Wasser – praktisch nicht verdunstet oder versickert. Ich habe den Fettanteil nie nachgemessen, aber es sollte mich wundern, wenn die Flüssigkeit im Teppich wesentlich weniger Fett enthielte als, sagen wir, 25 oder 30 Prozent; das ist etwa derselbe Prozentsatz wie in einem Becher Schlagsahne. Das macht unseren Leichenteppichbodenfetzen so glitschig wie einen Aal. Man versucht verzweifelt, ihn zu greifen, ihn zu bugsieren, und das möglichst weit weg vom Körper, nur durch den Druck der Finger, und dabei rutscht er einem natürlich millimeterweise durch die Fingerkuppen, ein schmieriger, wirklich widerlicher Kasten Bier in den ausgestreckten Armen, die schon nach einer halben Minute wehtun, er glitscht nach unten weg, weshalb man noch verkrampfter die Finger zusammenpresst, man versucht es mit den Fingernägeln durch die Handschuhe hindurch, um wenigstens etwas Grip zu bekommen, und man bewegt sich mit diesem sperrigen Glitschmonster auf seine geliebte Frau zu, die gequält einen Müllbeutel aufhält, den sie möglichst weg weit von ihrem Körper hält, und man will es nicht glauben, während einem die Arme halb abfallen, während einem jeder Muskel wehtut mit dem tonnenschweren Teppichschmodder in den Fingern, sieht man doch tatsächlich auch noch entsetzt, wie die eigene Frau einem nicht nur keinen einzigen kleinen Schritt entgegenkommt, sondern sich angewidert sogar rückwärts wegbewegt.
Da müsste man sich schon sehr zusammenreißen, um freundlich zu bleiben. Und ich kann mich zwar nicht erinnern, was genau ich in jenem Moment zu Petra gesagt habe, aber ich fürchte, ich war gar nicht freundlich. Und irgendwie freundlich dreingeblickt habe ich mit Sicherheit auch nicht.
Wir haben den Raum so weit wie möglich gereinigt, wir haben die Insekten bekämpft, wir haben ihn auch einmal mit Chlorbleichlauge behandelt, aber man hat sofort gesehen: Die Arbeit hier musste weitergehen. Die flüssigen Bestandteile des Toten waren noch immer hier. Sie waren selbstverständlich in den kaum behandelten Estrich gesickert, und das in einer so großen Menge, dass sich die beiden Wände der Ecke dahinter ebenfalls noch großzügig hatten bedienen können, obwohl die Leiche gar nicht mit den Wänden in Berührung gekommen war. Sie hatten die Flüssigkeit gut kniehoch nach oben gesaugt, aufgrund des Kapillareffekts.
Ich glaube, wir haben ihn mal in der Schule durchgenommen, besonders viel davon habe ich nicht behalten, es hätte mir damals eben ein Physiklehrer sagen sollen: » Pass auf, Anders, jetzt kommt der Kapillareffekt, den wirst du später mal brauchen, wenn du wissen willst, warum 14 Tage alte Leichenflüssigkeit wie von selbst die Wände hochkriecht.« Also hab ich’s mir später wieder zusammenlesen müssen. Der Effekt tritt immer auf, wenn Flüssigkeiten mit festen Hohlräumen zusammenkommen. Stellt man in ein Glas Wasser ein Glasröhrchen hinein, dann steigt das Wasser in dem Röhrchen ein bisschen höher als das außerhalb des Röhrchens. Und das gilt nicht nur für Glasröhrchen, sondern für jeden Hohlraum, und letztlich ist eine verputzte Wand im Grunde genommen genau das: eine große Menge kleiner Hohlräume, die die Leichenflüssigkeit millimeterweise nach oben saugen. Hier war das Ende dessen erreicht, was wir zu zweit machen konnten. Nun brauchten wir einen neuen Auftrag. Wir beriefen die Geschwister ein, sie besahen sich die Angelegenheit und stellten fest, dass es tatsächlich noch immer so stank, wie wir es ihnen schon vorher gesagt hatten. Also: Wohnung normal behandeln, komplett entsorgen. Die nötige Müllfirma, so versprach die Schwester
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