Kein Job fuer schwache Nerven
kompakt, es fühlte sich an wie lauter dunkle Korkplatten oder wie das Material, aus dem man Pinnwände macht. Sobald die Sonne hervorkam und das Licht besser wurde, ließ sich das Material rasch identifizieren: festgetretener kugeliger Kaninchenkot. Der Raum war voll davon. An den Zimmerwänden etwa knöchelhoch, in den trampelpfadartigen Gehkanälen flach und verpresst. Dass wir das nicht sofort gesehen hatten, lag auch daran, dass zu viel anderer Müll auf den Kaninchenkötteln lag, die sich darunter am Boden sammelten. Leere Plastikflaschen, Papierverpackungen und überall, wirklich überall etwas, das aussah wie kleine aprikosengroße Wattebäusche. Hier hatten Kaninchen nicht nur gehaust, sondern auch geworfen: Sobald Kaninchen Junge bekommen, rupfen sie sich Flusen aus dem Bauchfell, um das Nest auszupolstern. Es mussten viele Kaninchen hier Nester gebaut haben, es gab praktisch keinen Platz in der Wohnung, der flusenfrei war. Sie hatten sich erst die geschützteren Winkel der Wohnung ausgesucht, dann die Winkel zwischen den Winkeln, und zum Schluss hatte es offenbar keinen Ort mehr gegeben, an dem sich die Kaninchen nicht wohlfühlten. Im Gegenzug fiel es bereits im ersten Raum schwer, einen Platz zu finden, an dem man sich die menschliche Bewohnerin hätte vorstellen können.
Konzipiert war er – wenn man in dieser seltsamen Wohnung von einem Konzept reden konnte – als Wohnküche. Für das Wohnen waren irgendwann einmal zwei Sofas mit grauem Stoffbezug zuständig gewesen. Diese Sofas waren inzwischen von Müll umgeben und über und über mit Kaninchenfellbäuschen übersät. Wenn die Dame hier noch hätte sitzen wollen, hätte sie sich mitten in die Nester setzen müssen. Schwer vorstellbar, man versucht sich doch nicht als fürsorgliche Kaninchenmutti, um anschließend auf den Tieren draufzuhocken. Andererseits gab es im Raum keine anderen Möbel. Im Kochbereich konnte sie auch nicht zugange gewesen sein. Den Kühlschrank, der nicht mehr funktionierte, hatte schon seit Monaten niemand mehr geöffnet. Wozu auch? Drin stand nichts außer einem großen Topf. Irgendwann hatte sich die Dame was gekocht und gedacht, sie könnte die Reste am nächsten Tag aufwärmen. Das war schätzungsweise vor einem Jahr gewesen. Was wiederum ganz gut zu den Spinnweben passte, die wie Vorhänge von der Decke zur Kochzeile hinunter hingen. Nur der Herd selbst war frei von ihnen. Aber benutzt wurde auch der schon lange nicht mehr. Es gab keinen Strom. Andererseits war das wohl auch ganz gut so, denn auf den Kochplatten lagen tote Kaninchen.
Das wirkte zunächst noch halbwegs normal, offenbar hatte nicht die 54-Jährige selbst die Tiere dort hingelegt, sondern Mitarbeiter des Tierschutzvereins beim Retten der unversorgten Kaninchen: Die Kaninchenleichen auf dem Herd konnten noch nicht lange tot sein. Möglicherweise hatte man zwischen der Einlieferung der Dame ins Krankenhaus und dem Alarmieren des Tierschutzvereins zu viel Zeit verstreichen lassen, und die Tiere waren gerade erst verdurstet. Nachdem wir allerdings die ersten Kadaver in Tüten gesammelt hatten, wurde klar, warum die Tierretter ausgerechnet den Herd als Endlagerstätte gewählt hatten – der Platz hatte sich bereits bewährt: Unter der oberen Kaninchenschicht war eine zweite, ältere Schicht aus bereits stark verwesten Kaninchen.
Ich sah mich um. Es gab keinen Hinweis, wovon die Mieterin zuletzt gelebt hatte. Keine Pizzaschachteln, keine Bäckertüten. Vielleicht hatte sie überhaupt nicht mehr daheim gegessen. Das war nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar war, wieso sie überhaupt immer wieder in dieses furchtbare Zuhause zurückgekommen war. Denn das nächste Zimmer sah nicht besser aus. Der Boden war genauso kugelverpresst und fellbauschübersät wie der Raum davor. Ein Bett stand in der Ecke, ein Lattenrost ohne Matratze. Davor das vertrocknete Skelett eines Weihnachtsbaums. Es gab zwei kommodenartige Schränke, aus zwei verschiedenen Schlafzimmergarnituren zusammengestückelt. Ihre Türen standen offen, da drin waren weitere Kaninchennester gewesen. Es gab einen wackligen Schrank ohne Kleidung. Dahinter begann der seltsame Abstellraum – eine Art Scheune, von der Fläche her nicht größer als die beiden Zimmer davor, aber dafür auf einmal zwei Stockwerke hoch. Die Deckenbalken fehlten. Das hintere Drittel war mit großen 120-Liter-Mülltüten gefüllt. In den Tüten war Stroh und Kaninchenkot. So musste das Chaos angefangen haben.
Ich rief im
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