Kein Kerl zum Verlieben
war es in Berlin jetzt noch mitten in der Nacht und er schlief tief und fest.
Ricarda stand auf und fühlte sich müde und zerschlagen. Nach ihrer inneren Uhr war es erst zwei Uhr in der Nacht und sie hätte sich am Liebsten wieder hingelegt. Doch sie hatte genug geschlafen und sie musste in den hiesigen Zeitrhythmus kommen, also frühstückte sie, packte die Koffer aus und richtete sich häuslich in ihrer neuen kleinen Wohnung ein. Immer wieder trat sie an die Balkontür und bewunderte den Ausblick von der achten Etage aus. Der Park gegenüber reizte sie, einen Bummel durch die exotische Pflanzenwelt zu machen, vielleicht wuchsen im Park sogar Orchideen.
‚Bleib ruhig‘, ermahnte sie sich, ‚du bist für ein ganzes Jahr hier und hast genug Zeit, dir alles anzusehen.‘
‚Oh Gott‘, dachte sie gleich darauf. ‚Ich habe es wirklich getan, es ist kein Traum. Ich bin für ein Jahr in einer fremden Stadt, in einem Land auf der anderen Seite der Erdkugel, wo kein Schwein meine Sprache versteht. Ob das die richtige Entscheidung für mich gewesen war?‘
Gegen Mittag fuhr sie nach unten und erkämpfte sich im Shop mit viel Gestikulieren eine Prepaidkarte für ihr Handy. Die beiden Verkäufer, eine junge Frau und ein Mann, gaben sich freundlich, steckten den kleinen Chip gleich in ihr Handy und schalteten die Nummer frei. Ricarda dankte und nahm sich vor, ganz schnell ein besseres Alltagsenglisch zu erlernen und natürlich auch Thailändisch! Im Büro um die Ecke bekam sie den Freischaltcode für WLAN für ihre Wohnung und die ID-Card für die Wohnanlage. Sie hatte vorsichtshalber Passbilder für einen eventuellen Firmenausweis nach Thailand mitgenommen. Wieder oben im Apartment, probierte sie Internet aus, schrieb Susi eine Mail und googelte den Stadtplan Bangkoks nach der nächsten Haltestelle des Skytrains. Sie machte sich ausgehfertig und verließ die Wohnung, um die Gegend zu erkunden. Bangkok, ich komme!
Draußen empfing Ricarda die grelle heiße Sonne. Sie hoffte, sich im Laufe der Zeit an die hohen Temperaturen zu gewöhnen. Ganz in der Nähe befand sich die große Kreuzung Sukhumvit/Asok mit Hochbahn und Metrostation. Sie schlenderte hin und stieg zum Skytrain hoch, der in ganz Bangkok hoch über den Straßen auf Betonpfeilern fuhr. Sie betrachtete den für Berliner Begriffe sehr einfachen Streckenplan an einer Wand. Es gab nur zwei Linien. Dann beobachtete sie eine Weile die Leute, wie sie Geldscheine am Schalter in Münzen wechselten und mit den Münzen an Automaten Fahrkarten zogen. Ricarda wollte es ruhig und einfach angehen und aufs Geratewohl einige Stationen mit der Bahn fahren. Hier musste vorher ausgewählt werden, wie weit man fahren und wo man aussteigen wollte. Das bestimmte die Höhe des Fahrpreises.
Zum Bahnsteig ging es noch eine Etage höher und Ricarda verblüffte die Disziplin der Menschen hier. Es war nicht voll, doch die wenigen Leute stellten sich an Pfeilen auf dem Boden hintereinander auf, damit sie, wie Ricarda schnell begriff, wenn der Zug hielt und die Türen aufschwangen, neben den Türen standen und die aussteigenden Fahrgäste nicht behinderten. Gab es das sonst irgendwo? Sie wusste es nicht. Bisher war sie erst einmal im Ausland im Urlaub gewesen. Voriges Jahr hatte sie unbedingt eine Flugreise mit Thomas machen wollen und nach langem hin und her waren sie nach Mallorca geflogen. Neben seiner Wunschvorstellung eines gelungenen Urlaubs, Sangria und Strand, waren sie auch ihrem Wunsch nachgekommen und hatten sich ein wenig von der Insel angeschaut. Vorher war sie nur einmal als Teenager mit ihren Eltern nach Prag geflogen. Da existierte die DDR noch.
Dies hier war ihr erster nichteuropäischer Aufenthalt, alles verblüffte und erstaunte sie und Ricarda bedauerte, sich die Stadt allein erobern zu müssen. Wie viel Spass hätte sie mit Susi hier gehabt ... Selbst mit Thomas und seiner Nörgelei über die Hitze wäre es angenehmer für sie gewesen. Es war immer besser zu zweit oder in einer Gruppe Neues zu erkunden. Allein konnte man die Erlebnisse nicht teilen.
Sie verdrängte die aufblitzende Sehnsucht nach Susi und den Gedanken an Thomas und dachte einen Augenblick an Berlin. Wie ging es da auf den S- oder U-Bahnsteigen zu, besonders, wenn es voll war. In die Bahnen hinein- und auch wieder herauszukommen, glich einem Kampf. Anrempeln, Drängeln und Pöbeln war an der Tagesordnung.
Am Nachmittag kehrte sie erschöpft und ausgelaugt „nach Hause“ zurück. Sie kannte nun
Weitere Kostenlose Bücher