Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
verkündete ich, schon leicht lallend: »Papa, Geld, Dänemark, alles egal, ich fahre
nicht mit dir in Urlaub. So. Und das mit meinem Schwedenhappen löse ich wie folgt …«
Das Klingeln des Telefons unterbrach mich mitten in meinem Plädoyer. Ines fing albern an zu lachen und brüllte: »Wetten, das
ist Papa? Oder … haha, noch besser, Johann, haha, der will mit dir nach Dänemark!«
Ich riss mich zusammen, meldete mich betont sachlich und hörte – ein Rauschen. Und ein Knacken und Knistern. Sonst nichts.
»Hallo? Wer ist denn da?«
»…«
»Hallo? Johann?«
»…«
Ines schlug sich vor Lachen schon fast auf die Schenkel und spülte mit Wein nach.
»Christine? … Hallo?«
Die Stimme klang wie die von Marleen, aber auch irgendwie anders. Ganz anders. Außerdem war Marleen im Urlaub. In Dubai, mit
einer neuen Liebe. Beneidenswerte Marleen.
Ich presste den Hörer ans Ohr, gab Ines ein Zeichen, leiser zu sein.
»Hallo? Ich verstehe Sie nicht.«
»Ach, Gott sei Dank, du bist zu Hause. Christine, hör zu, es ist was Blödes passiert, ich …«
Es war tatsächlich Marleen.
Es rauschte und knisterte, ihre Stimme war wieder weg. Dann ein Knacken. Wieder das Rauschen. Ines beobachtetemich und hörte auf zu lachen. Sie schob mir mein Glas zu. Ich hatte plötzlich ein ungutes Gefühl und stellte das Telefon auf
Lautsprecher.
»Marleen?«
»Ja.« Ihre Stimme klang gehetzt und ganz anders als sonst. »Ich kann nicht lange reden. Christine, ich sitze blöderweise in
Dubai fest und kann am Wochenende nicht zurückfliegen. Du musst nach Norderney und mich in der Pension vertreten, ich erkläre
dir alles später. Du kannst doch, oder?«
»Ich?« Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. »Was ist denn passiert? Sag doch mal, was los ist. Du klingst so komisch.
Was heißt, du sitzt fest? Bis wann denn?«
Das Rauschen wurde etwas leiser. »Christine, mach bitte, was ich sage. Ruf meinen Anwalt Kühlke an, Ralf Kühlke, Anwalt in
Oldenburg, und fahr nach Norderney. Und frag jetzt nicht. Ich kann nicht.«
Weinte sie etwa? Sie hatte so eine komische Stimme. Ich verstand gar nichts mehr.
»Marleen? Wo bist du denn?«
»Ich muss Schluss machen. Und du fährst nach Norderney, ja? Und bitte, sage keinem, wohin und mit wem ich verreist bin. Das
ist ganz wichtig. Denk dir was aus.«
Ines nickte, während ich verwirrt wartete. Und dann rief sie in Richtung des Telefons: »Marleen, hier ist Ines. Wir fahren
nach Norderney und schmeißen deinen Laden. Wir wollten sowieso mal raus.«
Das Rauschen und Knistern wurde wieder lauter, plötzlich hörten wir kurz Marleens erleichterte Stimme: »Danke und …« Dann war die Leitung tot.
»Wie? Denk dir was aus! Was soll ich mir denn ausdenken? Wieso denn?«
Aber die Leitung war tot. Meine Schwester und ich starrten uns an. Mit einem Schlag waren wir wieder nüchtern.
»Das ist ja schräg. Und so was von Marleen«, sagte Inesund fuhr sich durch die Haare, »… das ist ja völlig verrückt. Na gut, dann fahren wir eben nach Norderney, statt vorm dänischen Kamin Krimis zu lesen. Aber
die Sache klingt nach Notfall. Was ist denn da nun passiert?«
»Keine Ahnung.« Ich ließ mich auf das Sofa sinken. »Das ist doch ein Witz, oder? Sie ist in Dubai und schickt mich nach Norderney?«
Ines trank den restlichen Wein aus der Flasche. Sie dachte kurz nach.
»Das hörte sich aber nicht an, als würde sie da freiwillig bleiben. Vielleicht haben sie ihr die Papiere geklaut. Aber wieso
sollen wir diesen Anwalt anrufen? Na ja, die Nummer kriegen wir wohl von der Auskunft. Was anderes fällt mir im Moment auch
nicht ein.«
Ich sah meine Schwester an, die mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir stand.
»Das ist doch völlig idiotisch.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich jetzt sauer auf Marleen oder besorgt sein sollte. So etwas passte überhaupt nicht zu ihr.
»Und was soll das mit dem Anwalt?«
Ines schob ihre Hände in die Jeanstaschen und zuckte mit den Schultern.
»Was weiß ich? Vielleicht fällt ihm etwas ein. Keine Ahnung. Ich war noch nie in Dubai. Ich habe keinen blassen Schimmer davon,
was einem da passieren kann.«
»Toll.« Ich massierte mir die Schläfen, um besser denken zu können. »Aber irgendetwas Blödes muss ja passiert sein, sonst
halten die einen doch nicht fest. Und wieso soll ich mir was ausdenken? Großer Gott, das ist ja völlig verquer. Aber dann
muss ich wohl nach Norderney. Es hilft ja
Weitere Kostenlose Bücher