Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
nicht wegschmeißen.«
Ich stellte mich demonstrativ an die Haustür. Sie warf mir nur einen kurzen Blick zu.
»Es hat gar keinen Zweck, mich zu hetzen, ich packe diese Sachen trotzdem noch ein.«
Während sie in der Küche mit Tupperdosen hantierte, ging ich schon mal mit ihrer Tasche zum Auto.
Bis zu den Elbbrücken war Ines damit beschäftigt, sich auf der Straßenkarte den Verlauf der Strecke anzusehen. Mein Navigationssystem
war zwar praktisch, aber abhängig sein wollte sie davon nicht.
»So.« Zufrieden und sehr exakt faltete sie die Karte wieder zusammen und schob sie ins Handschuhfach. »Jetzt erzähl mal.«
Nach einem Blick in den Seitenspiegel ordnete ich mich links ein und holte Luft.
»Als Erstes habe ich diesen Rechtsanwalt angerufen. Ich habe ihm von Marleens Anruf erzählt und damit gerechnet, dass er währenddessen
vom Stuhl fällt. Ist er aber nicht, er blieb ganz cool. Er hat selbst mit dem Auswärtigen Amt telefoniert und mich dann zurückgerufen.
Marleen und Björn müssen erst mal dableiben und haben von der Botschaft einen Anwalt gestellt bekommen. Das ist jemand aus
Dubai, der Deutsch spricht. Sie können sich aber zusätzlich einen hiesigen Anwalt suchen, der mit dem aus Dubai Kontakt aufnimmt.
Das macht nun dieser Herr Kühlke. Er hält mich auf dem Laufenden.«
»Und warum das alles? Was ist da jetzt passiert?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Für mich bleibt es nach wie vor sehr mysteriös. Aber Ralf Kühlke wirkte ganz souverän.«
»Dann wollen wir mal das Beste hoffen.« Ines klappte die Sichtblende runter und starrte sich im Spiegel an. »Hat er eine Ahnung,
wie lange der Zirkus dauert?«
Ich schluckte trocken. »Ich habe ihn nicht gefragt.«
Mir wurde ein bisschen übel, und ich zwang mich, positiv zu denken. In ein paar Tagen würde bestimmt alles vorbei sein. Kühlke
war ein guter Anwalt, und es handelte sich doch sowieso nur um ein riesengroßes Missverständnis.
Bis zum Bremer Kreuz unterbrachen nur das Radioprogramm und das Rascheln einer Lakritztüte die Stille. Dann knüllte Ines die
leere Tüte zusammen und sagte, mit einem Blick auf mich: »Du hast eine ganz tiefe Zornesfalte über der Nase.«
»Danke.«
»Mach doch mal die Stirn glatt.«
»Ich mache mir Sorgen.«
Ines warf die zerknüllte Tüte hinter sich auf die Sitzbank. »Das hilft uns auch nicht weiter. Du denkst zu viel. Wir können
sowieso nichts tun, außer die Pension zu schmeißen und zu hoffen, dass Menschen, die sich mit so was auskennen, alles tun,
was möglich ist. Also entspann dich. Das sieht furchtbar aus mit dieser Falte.«
Manchmal ging Ines mir wahnsinnig auf die Nerven. »Vor sieben Jahren, als ich so alt war wie du jetzt, hatte ich diese Falte
auch noch nicht. Warte ab, bei dir kommt das noch.«
»Glaube ich nicht.« Interessiert betrachtete Ines sich erneut im Spiegel. »Da ist alles glatt. Ich bin ja auch entspannt.«
Sie klopfte leicht mit dem Zeigefinger um ihre Augen herum. »Noch nicht mal Ansätze. Das hat was mit der Lebenseinstellung
zu tun. Ich sag’s doch: Du denkst zu viel. Bist du eigentlich nicht müde? Das war ja ziemlich spät gestern Abend.«
Ich war sogar sehr müde und wollte ihr gerade antworten, dass sie mich gern an der nächsten Raststätte ablösen könnte, als
sie sich mit geschlossenen Augen an die Kopfstütze lehnte und binnen zehn Sekunden eingeschlafen war. Nur ein leises Röcheln
war zu hören. Meine Schwester konnte stets und überall sehr gut schlafen.
Ich stellte das Radio leiser und ließ meine Gedanken schweifen. Vielleicht hatte Ines recht, ich sollte mir keine Sorgen um
Dinge machen, die ich ohnehin im Moment nicht ändern konnte. Das raubte mir nur die Energie, die ich für unsere »Urlaubsvertretung«
noch brauchen würde.
Rechts und links der Autobahn waren nur noch Felder, Kanäle und Kühe. Der Anblick beruhigte mich und gab mir trotz alledem
einen Anflug von Ferienstimmung. Der Himmel war blau, nur ein paar kleine Wolken verteilten sich harmlos. Während Ines beim
Luftholen sanft mit den Lippen blies, überkamen mich die Erinnerungen an den vergangenen Sommer.
Marleen hatte die Pension ihrer Tante Theda übernommen, die ihren Ruhestand lieber auf dem Festland verbringen wollte. Die
Pension hatte zehn Zimmer und eine angrenzende Kneipe, die Marleen letztes Jahr komplett renoviert hatte. Meine Freundin Dorothea
und ich hatten Urlaub genommen, um zu helfen. Wir mussten aber
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