Kein zurueck mehr
du.«
Ich sinke zurück in meinen Sitz, das weiche Kissen im Rücken.
Ich habe immer gedacht, dass es meine Aufgabe war, ihr meinen Dad vom Leib zu halten; dass ich jedes Mal versagt hatte, wenn er sie schlug.
Aber ich bin nicht derjenige, der ihr Grab schaufelt; ich habe nicht ihre Grube ausgehoben, als ich in jener Nacht wegfuhr oder als ich sie nicht dazu bringen konnte, mit uns zu kommen. Mein Dad hat die Grube vor Jahren gegraben; er hat sie gezwungen, sich hineinzulegen, und sie mithilfe von Angst und Schlägen darin gehalten. Und wenn sie versuchte herauszukommen, hat er sie wieder zurückgestoßen. Sie liegt da seit fünfundzwanzig Jahren. Ihre Muskeln sind verkümmert, ihre Gelenke versteift und sie kann nichts anderes sehen außer ihm und dem engen kleinen Raum, den sie Zuhause nennt. Ich weiß nicht, wie sie da rauskommen wird; ich kann ziehen und zerren und reißen, aber es wird keinen Unterschied machen. Sie hatte recht: Sie muss es auf ihre Weise lösen.
Ich habe mal gehört, dass einige Leute, die an chronischen Schmerzen leiden, erst merken, wie schlimm es wirklich ist, wenn sie endlich geheilt werden. Muskeln, die ich gar nicht bemerkt hatte, entkrampfen sich. Ich lasse los.
Mirriam fährt fort: »Du hast dich die ganze Zeit gefragt, warum deine Mom ihn nicht verlässt, nicht wahr? Aber das ist die falsche Frage.«
Ich nicke langsam. Ich kenne die richtige Frage: Warum schlägt mein Vater sie überhaupt? Muss ich nicht damit anfangen? Mit ihm, mit mir selbst.
»An der anderen Frage arbeite ich auch«, sage ich.
Sie lächelt dieses Ich-bin-so-stolz-auf-dich-Lehrerinnen-Lächeln. Aber diesmal nervt es mich nicht so sehr.
»Also, wirst du diesen Brief noch lesen?«, fragt Mirriam.
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass sie mich so durchschaut.
»Ich weiß noch nicht«, sage ich.
»In Ordnung.«
Wir nicken uns zu und ich gehe ins Wohnzimmer. Draußen ist es ungewöhnlich düster. Der Himmel ist grau, hat nicht das intensive Blau, an das ich mich hier so gewöhnt habe. Ich sehe zwei – Moment, drei – Schneeflocken vorbeirieseln, die den Winter ankündigen. Ich frage mich, ob die Erde hier nach heftigem Schneefall still wird, wie das in Chicago ist, als würde die Welt sich selbst besänftigen. Ja, ich glaube, so wird es sein.
Kapitel 32
Am Samstag mache ich mich auf die Suche nach einer Bude. Mrs Ortiz, mit der ich am Telefon gesprochen habe, öffnet die Tür zum Mietzimmer. Die Wände sind in leuchtendem Gelb gestrichen, das in einem seltsamen Kontrast zu der rosafarbenen Bettdecke steht. Es könnte schlimmer sein. Das Zimmer ist ziemlich klein, aber es ist sauber und möbliert. Mrs Ortiz sagt, ihr Bruder habe ein gutes Wort für mich eingelegt. Sie sei also sicher, dass ich mich gut betragen würde.
»Was soll das heißen? Gut betragen?«, frage ich sie.
Sie sagt, sie habe da ein paar Grundsätze, und ich bin sofort wieder frustriert. Ich werde mich nicht wieder jemandem unterordnen. Von jetzt an möchte ich gleichberechtigt sein. Aber Mrs Ortiz’ Grundsätze sind ganz simpel. Sie will nur rechtzeitig ihre Miete, keine Sauerei und keinen Lärm in der Nacht.
Sie geht aus dem Zimmer, damit ich mich in Ruhe umgucken kann.
Es ist klein, aber es hat alles, was ich brauche: Schrank, Bett, Nachttisch und Lampe (wenn auch mit einem Porzellan-Eichhörnchen am Fuß). Ich gehe hinüber zu dem kleinen Fenster, das sich horizontal öffnen lässt. Der »Hintergarten« ist ein gewundener Pfad, an dem ein großer, einsamer Kaktus Wache steht. Selbst wenn es eine heimische Pflanze ist, wirkt sie doch fehl am Platze.
Ich setze mich auf das Bett und hüpfe ein wenig darauf herum, als könnte ich so beurteilen, ob es eine gute Matratze hat. Meine Kameratasche könnte ich unter dem Bett verstauen; meine Bücher könnte ich auf der Kommode aufreihen; meine Schuhe könnte ich im Schrank verschwinden lassen. Dieses Zimmer wäre in Ordnung.
Ich mustere die kahlen gelben Wände; sie haben Potenzial. Christians Wände sind auch kahl.
Ich fahre schnell zurück zu Mirriam und wir machen den Pizzateig fertig und verteilen den Belag. Als ich so weit bin, die Pizza zu backen, lässt sie mich in Christians Wohnung (er hat den besseren Ofen) und erzählt mir, dass er bald kommt, aber im Moment noch nicht von der Arbeit wegkann. Ich hole den Brief von meiner Mom und lege ihn auf den Tisch. Dann schiebe ich die Pizza in seinen Ofen, setze mich an den Computer und surfe, bis Christian nach Hause kommt.
Als
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