Keine Frage des Geschmacks
konnte er sich beherrschen. »Und was liegt gegen Aurelio vor?«
Der Anwalt hingegen blieb ruhig. »Das wiegt deutlich schwerer. Mordversuch in zwei Fällen. Die DNA ist leider eindeutig. Und auch seine Wohnung wurde auf den Kopf gestellt.«
Lele war der letzte Bissen aus dem Mund gefallen, mit einer wütenden Handbewegung fegte er ihn samt der Schale Pommes vom Tisch. »Und wen soll er versucht haben umzubringen?«
»Eine englische Journalistin und einen Vu comprà. Heute morgen um sechs im Park von Miramare. Der Commissario hat mir Aufnahmen gezeigt, die beweisen, dass Aurelio offensichtlich schon tagelang hinter dieser Frau her war. Akteneinsicht habe ich noch keine erhalten, das läuft über die Staatsanwaltschaft. Laurenti hat sich sehr bedeckt gehalten, nur einmal hat er ihn süffisant als leidenschaftlichen Fotografen bezeichnet. Mehr hat er nicht herausgelassen. Aurelio habe ich zum Schweigen verdonnert. Wo bist du eigentlich?«
»Auf dem Weg zurück. Ich komme mit dem Zug um 22 Uhr 58 in Triest an. Hol mich am Bahnhof ab.«
»Ich muss mit meiner Frau zum Empfang beim Präfekten.«
»Dann brichst du eben früher auf«, zeterte Lele. »Deine Frau wird’s auch ohne dich dort aushalten. 22 Uhr 58, verstanden!«
Die Nachricht hatte gesessen. Lele hatte sein Essen stehenlassen. Bis der Anschlusszug einfuhr, ging der kleine Mann ohne Unterlass im Stechschritt den Bahnsteig auf und ab. Aurelio musste durchgeknallt sein, und Gazza war schlichtweg ein hoffnungsloser Trottel. Den hätte er schnell wieder draußen. Lele selbst könnte bezeugen, dass die Fotos nur Aurelios Werk waren. Und wenn das mit dem Mordversuch stimmte, käme es auf eine Verurteilung in dieser Sache auch nicht mehr an. Einen seiner Söhne müsste er vermutlich opfern, wenn seine Anwälte keine neuen Fakten hervorzaubern oder die Gesetzeslage zurechtbiegen konnten.
Jetzt war nur wichtig, die Ermittlungen Laurentis einzudämmen. Die großen Skandale begannen stets mit Kleinigkeiten. Raccaro hatte Aurelio gewarnt.
Als er den Wagen erster Klasse bestieg, staunte Lele. Vittoria strahlte ihn freudig an, als sie ihn entdeckte. Ihr Gesicht war ungeschminkt und grob. So hatte er sie noch nie gesehen.
Der Tag der Sphinx
Mordversuch im Park von Miramare, lautete die Schlagzeile der Sonntagsausgabe der Tageszeitung. Intensive Arbeit unter der Leitung der Staatsanwältin Iva Volpini führte schon am Nachmittag zur Verhaftung des Tatverdächtigen. Die Legende sagt, dass ein Fluch auf dem Schloss liege, der keinem seiner Bewohner einen natürlichen Tod vergönnt. War die kleine Sphinx, die der Erbauer einst aus Afrika mitgebracht hatte, heute Nacht wieder aus ihrem steinernen Schlaf erwacht? Die Filmarbeiten des deutsch-italienischen Fernsehteams wurden von diesem Vorfall jäh unterbrochen. Leben wir wirklich noch in der friedlichen Stadt, in der Kapitalverbrechen die Ausnahme sind, oder brauchen nun auch wir eine freiwillige Bürgerwehr? Können Polizei und Carabinieri uns noch ausreichend schützen?
Vier Fotos schmückten den ganzseitigen Artikel im Lokalteil. Groß war die verwitterte Marmorskulptur des Löwen mit dem Menschenkopf eingeklinkt, ein zweites Bild zeigte die Leute vom Film vor den Tischen des Caterings, ein kleineres die Statue des Amedeo Duca d’Aosta und das letzte das Porträt der Staatsanwältin. Über die Opfer wusste die Presse nur, dass es sich um eine Frau und einen Mann handelte, einen Afrikaner. Und auch über den Täter hatte die Redaktion kein Detailwissen, nachdem in der Presseverlautbarung lediglich seine Initialen bekannt gegeben worden waren und die Tatsache, dass es sich um einen gebürtigen Triestiner von achtundzwanzig Jahren handelte. Dafür lobte der Artikel wortreich die zielsichere Ermittlungsarbeit, obwohl Iva Volpini noch neu in der Stadt war. Über Laurenti und seine Mitarbeiter verlor der Journalist kein Wort. Dafür aber hatte das Blatt ganz unerwartet einen Ton angeschlagen, der den Scharfmachern gefallen musste. Ein »Attentat«.
Laurenti schlug verärgert die Seite um, er las von den Schäden, die der Schirokko angerichtet hatte: die Besatzungen dreier Yachten waren von Einheiten der Guardia Costiera aus Seenot gerettet worden, und das vom Wind über die Mole gepeitschte Meer hatte die Cittavecchia und die große Piazza unter Wasser gesetzt.
Dann aber blieb sein Blick an einer äußerst knappen, unbebilderten Notiz hängen. In vorauseilendem Gehorsam hatte die Redaktion die Meldung klein
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