Keine Frage des Geschmacks
Sicherheit sei zunehmend in Gefahr, und alles hinge von unbürokratischer Zusammenarbeit der Beteiligten ab, lautete auch sein Appell. Er war nicht der einzige Neue in der Stadt, auch der Polizeipräsident war ausgewechselt worden, und seine Nachfolgerin sprach ständig von Ordnung und Disziplin.
Die neue Regierung in Rom machte sich vor allem in der Innenpolitik bemerkbar. Die Minister aus der Lega Nord polemisierten am heftigsten. Sie hatten ihren Wählern mit dumpfpopulistischer Ausländerhetze die Stimmen abgeluchst und schrien nun auch nach Steuerföderalismus, als könnten sie sich vom Süden des Landes lossagen. Echten Föderalismus hatte bisher nur das Organisierte Verbrechen geschaffen – Cosa Nostra, Camorra, Sacra Corona Unita und ’Ndrangheta im Verein mit den Clans aus Osteuropa, China und Afrika – seit es gelernt hatte, dass Verhandlungen und Zusammenarbeit die Profite rascher erhöhten als kleinliche Abrechungen. Ein weltweites Netzwerk höchster Effizienz, das in ganz Europa Einzug in die oberen Etagen von Politik und Wirtschaft gehalten hatte. Nach dem Regierungswechsel begann sich wie üblich das Personenkarussell zu drehen. Die neuen Herren lösten die alten Strukturen auf und besetzten die Schlüsselpositionen mit Freunden und Verbündeten. Laurenti hingegen hatte sich auch noch an eine neue Staatsanwältin zu gewöhnen, die eine brillante Karriere in Rimini vorzuweisen hatte und auf deren Schreibtisch ein Großteil der Ermittlungen bei Kapitalverbrechen und Organisierter Kriminalität zusammenliefen. Wenigstens war seine Abteilung verstärkt worden. Seit drei Monaten tat ein junger Kollege bei ihm Dienst, der zuvor im durchs Erdbeben zerstörten L’Aquila in den Abruzzen eine Menge Staub geschluckt hatte.
Als Laurenti am Nachmittag aus dem klimatisierten Sitzungssaal der Präfektur schließlich auf die sonnenbeschienene Piazza hinaustrat, war ihm Livia über den Weg gelaufen. Überglücklich war sie gewesen, als sie ihren überraschten Eltern vor drei Monaten mitgeteilt hatte, dass sie nach Triest zurückkommen würde. Sie hatte ihre Lektorenstelle in einem Münchener Verlag gekündigt und bei einer Filmproduktion angedockt, die, im Auftrag des italienischen und des deutschenStaatsfernsehens, einen belanglosen Streifen abdrehte und dafür eine zweisprachige Koordinatorin suchte. Das Blaue vom Himmel hatten sie ihr versprochen. Ihr Vater war nicht damit einverstanden gewesen, hübsch, wie sie war, hätte er sie lieber als Schauspielerin gesehen. Doch Laura, ihre Mutter, freute sich und hätte ihr sowieso in allem den Rücken gestärkt.
»Livia, die Zeiten sind zwar nicht rosig, aber du hast glänzende Zeugnisse. Wir finden etwas für dich«, wiederholte Laurenti. »Immer mehr Filme werden hier gedreht, auch Kino. Und wenn das nicht klappt, dann brauchen die kontinuierlich expandierenden Versicherungsgesellschaften oder die großen Kaffeeröstereien in der Stadt jemanden mit deinen Sprachkenntnissen. Ich hör mich um. Wie lange dreht ihr hier?«
»Mindestens noch drei Wochen. Aber wenn die so chaotisch weitermachen, kann es auch länger dauern.«
Laurentis Blick fiel auf den Zweimaster mit den rostroten Segeln, der soeben vom Kai vor der Piazza ablegte. »Weißt du was, wenn du die Sache hinter dir hast, schenke ich dir das Geld für das Segelpatent, das du doch schon so lange machen willst.«
Endlich lächelte sie wieder. Manchmal hilft es zu wissen, dass alles irgendwann ein Ende hat.
*
Mit einem dumpfen Rasseln der schweren Kette senkte sich vom Bug der »Greta Garbo« der Anker auf den Grund vor dem westlichen Ufer des Golfs. An der Bordwand hing die Badeleiter, und Vittoria, die Harald Bierchen nach der zweiten Flasche Champagner nur noch Whisky einschenkte, servierte ihm auf einem Silbertablett die dritte Linie Kokain. Das Kleidchen war bis zur Hüfte hinabgerutscht, und diefleischigen Hände des mächtigen Mannes konnten nicht genug von ihren Silikonbrüsten bekommen.
Der Skipper hatte ganz gelassen einige Aufnahmen der beiden gemacht und verschloss den Fotoapparat in einem Ablagefach im Steuerhaus. Dann ließ er zweimal das Signalhorn brummen, ging unter Deck und zog die Badehose an.
Vittoria hatte verstanden.
»Nein, Süßer, langsam, langsam, ich brauche dringend eine Abkühlung«, hauchte sie und richtete sich auf. Der Fettwanst streckte gierig seine Hände nach ihr aus, doch sie trat zwei Schritte zurück.
»Zuerst ein Bad im Meer«, rief Vittoria. »Komm
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