Keine Frage des Geschmacks
langem hatte er der fast zehn Jahre älteren blonden Frau hinterhergeschielt. Doch erst vor kurzem war es ihm gelungen, Laura in ein Gespräch zu verwickeln, als sie einmal ohne den Commissario, ihren Ehemann, zu einer Vernissage gekommen war. Ein Kompliment nach dem anderen machte er ihr, schwärmte von ihren smaragdgrünen Augen und der angeblich verführerischen Heiterkeit ihrer Körpersprache.
Endlich hatte es wieder eine bedeutende Kunstausstellung gegeben. Für gewöhnlich drang aus dem Kulturreferat nur bleierne Stille nach außen, dabei war das wundervolle Gebäude, das einst den städtischen Fischmarkt beherbergte, erst vor wenigen Jahren aufwendig renoviert worden und sollte, wie jeder damals der Presse entnehmen konnte, mit bedeutenden Ausstellungen großes Publikum anziehen. Doch das Gebäude stand meistens leer und wurde nur selten und stiefmütterlich genutzt. Inzwischen hatte man aus dem Rathaus vernommen, dass man ein kleines Aquarium darin einrichten könnte.
»Leonor Fini ist zweifelsohne unsere berühmteste Künstlerin«, sagte Laura. »Eine beeindruckende Biografie. Ihre Mutter hatte sie in Knabenkleider gesteckt, um die Entführungsversuche des rachsüchtigen Vaters zu vereiteln, der ihnen aus Buenos Aires hinterhergereist war. Und als sie dreizehn war, hat sie sich ins Leichenschauhaus geschlichen, um die Verstorbenen zu porträtieren. Später dann waren ihre Werke so gefragt wie die von Pablo Picasso. Warum bloß haben Sie dieses Bild nicht als Leihgabe für die Ausstellung im Revoltella-Museum gegeben?«
»Niemand weiß von seiner Existenz.«
»Vermutlich ein Selbstporträt.« Sie stand ratlos vor dem Ölgemälde, das Enrico D’Agostino ihr unter der Auflage gezeigt hatte, nicht darüber zu sprechen. Das Werk maß ein auf eineinhalb Meter und zeigte, ganz gegen den sonst so ausgeprägtenÄsthetizismus der Künstlerin, drei vierschrötige, dickbäuchige Weiber, in deren Haar Fischgräten steckten und denen ein paar edle rotgetigerte Katzen mit hochmütig gerecktem Schwanz das Hinterteil zeigten. Sie geiferten über eine hübsche, feingliedrige Nackte, die bis zu den Oberschenkeln in den sanften Wellen stand.
»Was halten Sie davon?«
D’Agostino sprach davon, es auf den Markt zu bringen. Und Laura hatte sich nicht zweimal bitten lassen, es zu begutachten. Eine einmalige Chance, für das Versteigerungshaus, an dem sie beteiligt war, an Nachschub zu kommen.
»Das hätte gut als Frontispiz des Katalogs getaugt«, sagte Laura. »Die Stadt hat über Jahrzehnte so wenig von ihr wissen wollen wie von allen anderen, die ihr Ruhm gebracht haben. Dabei hatte Leonor Fini noch als Jugendliche die Bekanntschaft von Italo Svevo und Umberto Saba gemacht, von Arturo Natan und Bobi Bazlen. Und später, als sie über Mailand nach Paris kam, lernte sie die Surrealisten kennen, wurde Freundin von Cocteau, Max Ernst, Man Ray und Paul Éluard.«
»Dieses Bild ist in keinem der Werkverzeichnisse aufgeführt. Sie hat es in den sechziger Jahren gemalt, als sie ein paar Tage hier zu Besuch war. Es trägt einen ziemlich komischen Titel: ›La mare dei mona‹ …«
Laura prustete vor Lachen. Es war der erste Teil einer unflätigen Redeweise des bisweilen deftigen Triestiner Dialekts, die etwas fatalistisch besagte, dass die Mutter der Idioten endlos neue Kinder austrug. Ein namhafter Journalist war unlängst zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er ihn auf einen überempfindlichen Lokalpolitiker angewendet hatte. Der Kläger war nicht mehr im Amt, doch an der Wahrheit überlieferten Redensarten ließ sich nicht rütteln.
»Und Sie haben natürlich kein Zertifikat über die Echtheit des Bildes, mein lieber Enrico«, sagte sie amüsiert. »Für solchsatirische Ausführungen ist Leonor Fini nicht unbedingt bekannt.«
»Die Signatur ist so eindeutig wie das Datum. Sie war damals wirklich in Triest.«
»Und Ihre Mutter hat es direkt von der Künstlerin gekauft. Gibt es dafür Belege oder Korrespondenz?« Laura nahm einige Details des Bildes genauer unter die Lupe.
»Bisher habe ich nichts gefunden.«
»Es sind schrecklich viele Kopien im Umlauf. Von fast allen berühmten Künstlern.« Soeben erst war ihr ein gefälschter Monet untergekommen, womit der Anbieter sich allerdings umgehend eine Anzeige wegen versuchtem Betrug eingehandelt hatte – bei der anschließenden Hausdurchsuchung waren noch andere falsche Meisterwerke beschlagnahmt worden.
»›La mare dei mona‹ heißt es also. Die Schrift ist auf
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