Keiner wie er (German Edition)
Nebel der gemiedenen Erinnerungen wieder nach oben gekämpft.
Doch am Ende machte er sie unglücklich.
Todunglücklich.
Und irgendwann, vor fünf Menschenzeitaltern, leistete sie deshalb den heiligen Eid, niemals wieder in irgendeine Illusion zu flüchten. Denn auch die gestalteten sich gefährlich.
Mit wachsendem Argwohn beobachtete sie, wie ihr diese Dinge neuerdings immer häufiger entfielen.
Übrigens besaß Daniel so einige, gemeine und niederträchtige Verbündete. Alle schienen sich geballt gegen Tina vereint zu haben: Das schöne Wetter und die Stille, seine Anwesenheit natürlich und dieser verbotene Appetit! Der war seit einigen Tagen ekelhaft penetrant. Und jetzt, mit dieser frischen Luft, verdoppelte er sich noch einmal. Hinzu kam, dass Daniel zwischenzeitlich einen Kochkurs belegt haben musste. Denn der tafelte ständig die leckersten Gerichte auf. Ernsthaft überlegte Tina, ihn darauf hinzuweisen, wie schizophren sich das eigentlich verhielt. Schließlich handelte es sich um den irren Prof, der bei jedem Kakao oder Latte Macchiato, den Tina zu sich nehmen wollte, einen mittleren Tobsuchtsanfall bekommen hatte.
Und mit einem Mal durfte sie essen!
Total unverständlich! Dabei musste er doch wahnsinnig stolz sein. Alles hatte sie beherzigt, was er ihr ‚mit auf den Weg’ gab. Und nun schien er auch wieder nicht zufrieden. Ja, was war das für ein kleiner Spinner! Der Mann wusste nicht einmal annähernd, was es bedeutete, ständig diesen Versuchungen zu widerstehen. Ein Gehenlassen konnte sie sich nicht leisten, denn die Strafe würde auf dem Fuß folgen. Und die bedeutete tagelange Null-Diät. Die musste sie bereits nach ihren Urlauben durchstehen, weil ihre Mutter sie immer mästete. Der verzieh Tina diese Einmischung. Vera meinte schon immer, ihre Tochter mit allerlei Leckereien vollstopfen zu müssen. Das würde sich nie ändern. Dieser kleine Idiot allerdings war nicht Tinas Mom. Im Grunde verband sie überhaupt nichts!
Mit übermenschlicher Anstrengung widerstand sie den ständigen Versuchungen, erfreute sich sogar an seinem mahnenden Gesichtsausdruck, weil er doch ehrlich meinte, sie damit beeindrucken zu können. Sehr bewusst aß sie, zählte genau zusammen, was sie täglich zu sich nahm und überschritt nie die von ihr seit Jahren gesetzten 1000 Kalorien. Auch wenn die unschönen Hungerboten sich immer häufiger meldeten, die daherkamen mit Übelkeit und dem ekelhaft hohlen Gefühl im Magen. Kaum tauchte dieser Mann auf und verschleppte sie in die Walachei, musste sie wieder mit diesem Mist kämpfen.
Tina focht einen ewigen Kampf. Gegen den Hunger, sich selbst und nicht zuletzt ihre dämlichen Träume und Wünsche. Die stellten sich nämlich neben all dem anderen auch ein. Bisher hatte sie geglaubt, das hinter sich gelassen zu haben.
Wobei geglaubt die falsche Bezeichnung war. Sie hatte ihn aus ihrem Gedächtnis gekillt! Wohlweislich, wie sie spätestens jetzt wusste.
Für den Einfluss, den er auf sie ausübte, hasste sie ihn umso mehr. Auch dafür, dass sie Gefahr lief, wieder zu dem kleinen Dorftrampel zu mutieren, den sie einst verkörperte. Denn Tina wollte sich nicht mit ihm befassen und erneut das tief in ihrem Magen fühlen, was sie so lange entschieden und mit tödlicher Überzeugung gemieden hatte.
Weil sie eben nicht zum Suizid tendierte, sondern mit allen Mitteln um ihr Überleben kämpfte. Und deshalb zwang sie sich, keinen Gedanken daran zu verschwenden, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er wieder aus ihrem Leben verschwand.
Das war er nicht wert, denn er machte nur immer alles kaputt! Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, hätte sie ihn nie getroffen?
Sehr weit hergeholt, sicher, zu viele Faktoren, die sich im weiteren Verlauf anders gestaltet hätten. Aber vielleicht wäre sie jetzt eine Ehefrau mit Kindern, hätte einen lieben Mann (Ric?) und ein Zuhause? Nein, keineswegs wollte sie nur Hausfrau und Mutter sein, Tina liebte ihren Job. Doch es gab auch ein Leben dazwischen. Eines, in dem man Karriere machte und dennoch Familie besaß. Und Kinder. Früher wünschte sie sich immer ganz viele.
All das hatte er mit seiner Existenz unmöglich gemacht. Denn der Gedanke, mit einem anderen Mann eine Familie zu gründen, war ihr nie gekommen. Irgendwann hatte sie sich alles, was mit diesem besonderen Thema zusammenhing, aus dem Kopf geschlagen. Zu unerträglich in seiner Endgültigkeit. Denn das würde es für Tina nie geben.
Erst jetzt konnte sie es genauer verstehen
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