Keltenfluch
Er hatte sich zu sehr auf seine Forschungen versteift und hätte gewisse Dinge ruhen lassen sollen. Warnungen hatte es ja gegeben, aber er war so besessen gewesen, dass er sie missachtet hatte.
Die anderen hatten sich gerächt. Und dies an seiner Mutter, die mit den Dingen überhaupt nichts zu tun gehabt hatte.
In seinem Innern hatte sich die Kälte festgesetzt wie eine dicke Platte aus Eis. Sein Körper war einfach schlapp. Er hätte sich auch jetzt nicht erheben können. Das Zittern, das Weinen, alles kam zusammen. Zugleich allerdings wusste er, dass es weitergehen musste. Er konnte nicht für immer hier sitzen und trauern.
Es gab noch ein Leben danach. Und dieses Leben hatte jetzt und hier begonnen. Er stützte sich links und rechts ab. Das Bett gab etwas nach, und nur mühsam und von einem leichten Schwindel gepackt kam er in die Höhe. Das Zimmer drehte sich scheinbar vor seinen Augen. Die Kälte in seinem Innern war wie ein böser Feind, der ständig zubiss, und er spürte auch das Brennen in seinen Augen. In der Kehle saß ein dicker Kloß, sein Gesicht war aufgedunsen, zudem bleich und rot, und er musste sich selbst überwinden und schon mehr als über den eigenen Schatten springen, um das zu tun, was nötig war.
Normalerweise hätte er die Polizei holen müssen. Das würde er auch noch tun, aber es gab auch Dinge, die er einfach nicht vor sich herschieben konnte.
Bei seiner nächsten Tat hätte Tony am liebsten die Augen geschlossen. Das brachte er jedoch nicht fertig. Er hielt sie offen, er starrte auf den Kopf seiner Mutter. Einen zögernden Schritt ging er nach vorn und streckte dabei vorsichtig die Arme aus. Die gespreizten Hände näherten sich dem Kopf.
Tony sah, wie stark seine Finger zitterten.
Der Kopf seiner Mutter stand so, dass er ihn anschaute. Er selbst schloss die Augen. Er würde es später genauer untersuchen. Zunächst einmal musste er den Kopf aus dem Schatten des Betts heben.
Er legte die Hände gegen die Seiten des Kopfes. Die Berührung war schlimm. Das Gefühl, das ihn dabei durchströmte, konnte er nicht in Worte fassen. Es war da, aber es war schrecklich, und Tony wollte nicht daran denken. Als der Kopf schließlich auf dem Bett stand, direkt neben dem Körper und dem blutdurchtränkten Laken, da wusste er nicht, wie er es überhaupt geschafft hatte.
Das Gesicht seiner Mutter war ihm zugedreht. Er schaute sie an, sie hatte ihren Blick auf ihn gerichtet.
Augen, in denen kein Leben mehr war. Eine weißgraue Haut, bedeckt von Blutspritzern. Ein halb offenstehender Mund, den bisher niemand geschlossen hatte. Das graue Haar drängte sich auf dem Kopf zusammen. Auch in die Strähnen hinein war das Blut gespritzt und hatte Büschel miteinander verklebt.
Er war immer so stolz auf seine Mutter gewesen. Sie hatte toll ausgesehen. Sie war in Ordnung gewesen und hatte ihn immer wieder unterstützt. Sie hatte dafür gesorgt, dass er studieren konnte. Sie hatte ihn großgezogen. Es war alles so okay gewesen. Über sein Verhältnis zu ihr hatte er sich nicht beschweren können, doch was nun von ihr zurückgeblieben war, das sah er als Zerrbild an.
Trotzdem streichelte er den Kopf. Mit den Händen fuhr er durch das Haar, und es machte ihm auch nichts aus, dass seine Haut durch das Blut befleckt wurde.
»Es tut mir leid, Mutter. Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich weiß, dass ich schuld bin. Ich weiß es…«
Er wollte wieder weinen, doch diesmal schaffte er es nicht. Etwas brannte in seinem Körper. Er nahm es wie eine Flamme hin, die hochgestiegen war. Einordnen konnte er das Gefühl nicht. Er dachte an etwas Bestimmtes, auch an Rache, und senkte den Blick, als er den Kopf losließ.
Was er vor kurzem mehr geahnt als gesehen hatte, sah er nun als eine Tatsache. Der oder die Mörder hatten sich nicht damit zufriedengegeben, seiner Mutter den Kopf abzuschneiden, nein, sie waren noch einen Schritt weitergegangen und hatten ihr den Unterkiefer aus dem Mund hervorgebrochen.
Aus diesem Grunde hatte das Gesicht so schief ausgesehen. Der untere Teil war zerhämmert worden. Jemand hatte ihn brutal zerstört, und er wusste nicht, ob es vor oder nach dem Tod geschehen war. Tony hoffte, dass sie es gnädig gemacht hatten.
Er nickte vor sich hin. Es war ein Ritualmord gewesen. Kein normaler Raubmord. Und es hing einzig und allein mit ihm und seinen Nachforschungen zusammen. Mit seinem Beruf wie auch immer, denn der hatte ihn in die tiefe Vergangenheit und in Gebiete hineingeführt, in der die
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