Keltenfluch
verteidigen wüsste.
Wir drehten uns dem Zelt zu. Ein Windstoß schien unsere Bewegung geahnt zu haben. Er wehte uns entgegen. Wie ein flatterndes unsichtbares Tuch erreichte er unsere Nasen und brachte zugleich den Geruch mit, den wir aus der Keltenzeit kannten.
Tony Hellman erschrak. Bevor er einen Kommentar abgeben konnte, drückte ich ihm meine Hand auf die Lippen. »Kein Wort!« zischte ich. Er nickte, und ich ließ ihn los.
»Dann… dann ist er im Zelt?« wisperte er.
»Davon können wir ausgehen.«
»Wie viele Eingänge gibt es?« erkundigte sich Bill.
»Man kann von mehreren Seiten das Zelt betreten. Wenn Sie wollen, eigentlich von überall, wenn man sich bückt.«
Die Antwort war gut. Bill nickte mir zu, als ich ihn fragend anschaute. Er war bereit, und ich ebenfalls.
***
Professor Cochran glaubte einfach nicht, was er mit seinen eigenen Augen sah. In der schwachen Düsternis abseits des Lichts malte sich eine recht helle Gestalt ab, von der er nicht wusste, wie er sie einzustufen hatte. Sie war kein richtiger Mensch, sie war kein richtiges Tier. Sie hatte kein erkennbares Gesicht, aber sie besaß einen menschlichen Körper und bewegte sich auf zwei Beinen. Nicht glatt, nicht sicher, eher unförmig. Langsam. Sie hob ein Bein schwerfällig an, setzte den Fuß wieder auf, drückte ihn gegen den Boden und tat mit dem anderen Bein das gleiche, um so näher in das Licht des Arbeitsplatzes zu gelangen. Der Professor zitterte. Er versuchte zu denken. Er wollte seinen Verstand einsetzen. Er suchte nach einer Erklärung. Er verband sie mit Dingen, die er und seine Leute ausgegraben hatten, doch das alles brachte ihm nichts ein.
Es gab hier keine Logik. Es war einfach alles anders geworden. In diesen Augenblicken erlebte er den Horror, den andere sonst nur aus dem Kino kannten.
Der Körper war nicht steif. Er bewegte sich beim Gehen wie von selbst. Eine helle Masse, die sich von den Füßen hoch bis zum Gesicht zog, in das immer stärker der Lichtschein hineinfloss, so dass es jetzt besser zu erkennen war. Nein, das war kein menschliches Gesicht. Es musste aus dem einer Echse und dem eines anderen Tieres zusammengesetzt sein, denn von der Stirn oder dem oberen Kopfende her wuchs etwas in die Höhe, das aussah wie ein gekrümmter Kamm.
Nicht glatt, sondern zackig. Er zog sich von der Stirn bis zum Nacken hin. Es waren keine Haare gewachsen. Das Gesicht zeigte sich ebenso glatt wie der Körper.
Gesicht? Nein, auf keinen Fall. So sah kein Gesicht aus. Das war schon eine Fratze, bei der eigentlich nur die Schuppen fehlten, um sie einer Echse gleich werden zu lassen.
Zum Gesicht gehörte ein Maul. Breit, groß, offen. Es gab keine Augen, denn sie wurden durch die langen Lider, aussehend wie Hautfalten, fast völlig verdeckt.
Es gelang dem Professor, seine Fassung zurückzugewinnen. Auch er hatte sich intensiv mit dem Volk der Kelten beschäftigt. Er wusste, dass sie zahlreiche alte Götter verehrten. Gestalten, die einfach nur schrecklich waren. Deren Aussehen und Wirken von Menschen nicht nachvollzogen werden konnten.
Schlimme Zerrbilder einer längst ausgestorbenen Rasse und versunkenen Kultur. Die Götzen lebten.
Nicht nur in der Phantasie der Kelten, sondern jetzt auch in der Realität. Sie hatten sich aus ihrem Reich gelöst, an das er nie so recht hatte glauben wollen.
Die Gestalt lebte. Sie war kein Spuk. Sie war kein Hologramm. Sie war nicht durchsichtig, sondern dreidimensional und ein Festkörper, was sie wenig später bewies. Mit einer heftigen Handbewegung räumte sie zum Teil von der Platte des Tisches, was in mühevoller Kleinarbeit gesammelt worden war.
In den beiden Körben am Rand lagen die Scherben und Fundstücke, die jetzt zu Boden fielen und teilweise zerstört wurden.
»Nein…!« Nur ein leiser Ruf war aus dem Mund des Professors gedrungen. Er konnte kaum atmen, weil ihm eine widerliche Geruchswolke entgegenwallte.
Seine Hände bewegten sich wie von selbst. Jedenfalls schaute er nicht hin, wie sie über die Arbeitsplatte wanderten, wo unter anderem eine Schere lag. Sie war nicht herabgefallen. Der Professor spürte das kalte Metall an seinen Fingern. Für einen Moment blieb er in seiner Haltung und riss die Schere dann hoch, als sich das Monstrum auf ihn stürzte.
Es hatte sich einfach fallen gelassen. Er sah die dicken Arme auf sich zukommen und stieß die Schere genau in die Lücken dazwischen. Beide Hälften lagen zusammen und bildeten so etwas wie eine Messerklinge, die
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