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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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Lächeln nicht unterdrücken. Ihm fiel es nicht ein, auch noch für das aufgeweichte Brot ein Dankgebet zu sprechen. Es mutete ihn fast komisch an, daß hier ein aufrechter Mann, wie dieser Pfarrer, die Beibehaltung des Gebetes allen Dingen voranzusetzen schien.
    Der Pfarrer blickte vorwurfsvoll auf Michels Hände und dann in sein Gesicht; aber er schwieg. Und das war gut so. Ein Streitgespräch für und wider das Beten hätte zu dieser Stunde und in diesem Kreis nur Verwirrung gestiftet.
    Der noch immer Besinnungslose wurde von denen, die an ihn gefesselt waren, wieder auf seinen Platz gezogen. Als er erwachte, blieb ihm nichts weiter übrig, als zu schweigen. Zu später Nachtstunde erwachte Michel. Er hatte den Eindruck, daß ihn jemand anrief. Und er täuschte sich nicht.
    »Senor«, flüsterte eine verhaltene Stimme, »Senor, schlaft Ihr bereits?« Es war der Pfarrer.
    »Nein«, wisperte Michel zurück, so leise es nur irgend ging; denn zwischen dem Pfarrer und ihm lagen Ojo, Deste und Jardin.
    »Ich kann nicht schlafen, Senor. Ich möchte mich gern ein wenig mit Euch unterhalten.«Michel brauchte sich gar nicht erst aufzurichten; denn Platz zum Ausstrecken hatte er ohnehin nicht gefunden.
    »Tut Euch keinen Zwang an, Vater«, entgegnete er, »soll es ein theologisches, ein weltanschauliches Thema sein?« Einen Augenblick war Schweigen.
    »Wohl auch das«, meinte der Pfarrer. »Ich glaube, Ihr habt Bedenken?«
    »Nicht meinetwegen. Padre, sondern wegen derjenigen, die etwa zufällig zuhören könnten.
    Sprecht Ihr eine fremde Sprache?«
    »Mehrere, Senor---.«
    »Baum ist übrigens mein Name, Michel Baum.«
    »Michel? So seid Ihr gewiß ein Deutscher?«
    »Ihr habt recht. Sprecht Ihr Deutsch?«
    »Ich fürchte, nicht gut genug. Wie steht es mit Englisch?«
    »Well«, antwortete Michel auf Englisch. »I will try to make myself clear enough. Let's talk. — Ich werde versuchen, mich so gut wie möglich verständlich zu machen. Unterhalten wir uns.« »Ich glaube, Ihr sprecht es sogar besser als ich«, meinte der Pfarrer. »Ihr wart so nett, Euch vorzustellen, mein Name ist Pater Geronimo Alvarez.«
    »Namen sind Schall und Rauch. Darf ich Euch einfach »Father« — Vater — nennen?« »Ich bitte darum.«
    »Also gut, Father, was liegt Euch so dringend am Herzen, daß Ihr Euch um Eure eigene Nachtruhe bringt?«
    »Well, Mr. Baum, vorhin, als ich zum Gebet aufrief, da lächeltet Ihr ein wenig geringschätzig — ein wenig zu geringschätzig fast, möchte ich sagen. Seid Ihr ein Gottesverächter?« »Ihr fragt mich sehr offen«, erwiderte Michel, »so müßte ich auch offen antworten.« Er lächelte ein wenig müde, als er fortfuhr. »Nein. Ich bin kein Gottesverächter. Aber ich glaube, ich habe eine vom Üblichen etwas abweichende Religion. Ich will damit sagen, daß ich ganz undogmatisch bin.«
    »So seid Ihr ein Protestant, ein Lutheraner?«
    »Auch nicht, Father, ich möchte gern ein Mensch sein.«
    Es trat eine Pause ein, ehe der Pater entgegnete.
    »Das verstehe ich nicht. Stellt Ihr vielleicht das Menschliche vor das Christliche?« Michel konnte eine leichte Erregung nicht verbergen, als er sagte: »Ich glaube, man kann nur ein Christ sein, wenn man ein Mensch ist, nicht ein weiser Mensch, sondern ein humaner Mensch. Versteht Ihr das?«
    »Nun, auch ich habe humanistische Bildung genossen und bin ein Christ.«
    »Well, es ist Euer Beruf, gut zu sein. Außerdem schließt das eine nicht das andere aus. Aber auch diese spanischen Soldaten, die hier um uns herumliegen, sind Christen. Ihr habt gesehen, wie sie ihr Christentum vergessen, wenn es sich um ein Stück Brot handelt.«
    »Ihr urteilt zu scharf. Der Mensch ist gut. Man muß ihn nur richtig leiten.«
    Michel zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Er wollte den Pater nicht beleidigen. Doch dann meinte er:
    »Dann müssen die meisten Christen, mit denen ich bisher zu tun gehabt habe, schlecht geleitet gewesen sein. Manche von ihnen waren recht gute Christen, aber leider keine — Menschen.« Der Pater ahnte, daß Michel viele erschütternde Erlebnisse gehabt haben müsse, und fragte ihn danach voller Anteilnahme. Doch er bekam nur eine vage Antwort:»Es ging. Es hätte schlimmer sein können. Ihr müßt wissen, ich war Arzt auf einer Seeräubergaleone. Außerdem bin ich ein fahnenflüchtiger Musketier, den man wider seinen freien Willen zur Armee gepreßt hat, nachdem man ihn zuerst wegen einer Geringfügigkeit zu langer Festungshaft verurteilt hatte.

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