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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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schien überhaupt alles nur aus Haß zu bestehen. Die Wächter brachten auch nicht einen einzigen Befehl und nicht eine einzige Anweisung über die Lippen, ohne sie mit einem Fluch oder einem Schimpfwort zu verbinden.
    Die einzige Berührung mit der Außenwelt, sofern man bei der Bevölkerung von El Mengub überhaupt von einer solchen sprechen konnte, hatten die Sträflinge des Morgens, wenn sie wie Vieh zur Tränke, das heißt an das Ufer des Flusses, der dicht vor ihren Verliesen vorbeifloß, geführt wurden. Ein paar unentwegte Einwohner schleppten um diese Zeit bereits ihre Wasserkrüge. Es waren natürlich nur Frauen, die, tief verschleiert, weder ein Wort sprachen, noch auf eine andere Weise mit den Gefangenen in Verbindung traten. Primitiv, meinte Michel, und er hatte wohl nicht unrecht mit dieser Ansicht. Die Männer der Frauen lagen um diese Zeit noch faul in den Betten oder waren wieder hineingestiegen, nachdem sie als pflichttreue Muslimun ihr Morgengebet verrichtet hatten, Männer, die arbeiteten, schien es in ganz Nordafrika nicht zu geben.
    »Doktor«, sagte Deste eines Abends, »weshalb pfeift Ihr gar nicht mehr? So ein tönendes Kunstgebilde, wie es jener deutsche Maestro nach Euern Erzählungen auf der Orgel spielte, könnte uns ganz gut über manche trübe Stunde hinweghelfen.«
    Deste meinte Bach, von dem ihm Michel früher zuweilen etwas vorgepfiffen hatte, eine Fuge, eine Toccata oder ein anderes Orgelstück.Michel nickte.
    »Du hast recht, Carlos. Ich würde auch wohl öfter pfeifen, wenn ich nicht Angst hätte, daß sich die Posten daran gewöhnen. Sobald sie wissen, daß einer hier ist, der so pfeift wie ich, verlören sie alle Furcht und allen Aberglauben, wenn ich das Pfeifen einmal zu anderen Zwecken benötigen sollte. Du weißt, es hat uns manchmal geholfen, aber nur, wenn es überraschend kam.«
    Deste war zufrieden. Nicht so der Pfarrer.
    »Habe ich recht vernommen?« schaltete er sich ein, »Ihr kennt Johann Sebastian Bach, den berühmten Kirchenkomponisten?«
    »Ja. Findet Ihr das so unglaublich?«
    »Und Ihr verehrt den Maestro?« fragte der Pfarrer weiter.
    »Ja, ich liebe Musik. Eure Fragen klingen ein wenig hintergründig, Padre, was wollt Ihr?«
    Der Pfarrer ritt sein Steckenpferd. Er schien sich vorgenommen zu haben, Michel aus den Armen der Ketzerei zu reißen, wie er dessen Anschauung von Glauben und Welt nannte.
    »Wenn Ihr seine Musik liebt, so müßt Ihr auch Gott lieben; denn diese Musik ist ein Stück von Gott.«
    »Aha«, sagte Michel belustigt, »da hinaus wollt Ihr wieder. Habe ich je gesagt, daß ich Gott nicht liebe?«
    »Ihr glaubt nicht an die Lehre der alleinseligmachenden Kirche.«
    »Ihr weicht vom Thema ab«, sagte Michel versöhnlich. »Bleiben wir bei Bach. Kennt Ihr etwas von ihm?«
    »Das will ich meinen. Leider kann ich nicht gut genug singen. Sonst würde ich es Euch beweisen.«
    Michel schwieg einen Augenblick. Ihn überkam plötzlich Lust zu pfeifen. Er warf alle Hemmungen beiseite und setzte ein, ganz leise und zart wie eine gedämpfte Violine. Er verwob die Linien der kleinen g-moll-Fuge mit einer solchen Geschicklichkeit und Schnelligkeit, daß es sich anhörte, als gingen sie tatsächlich ineinander über.
    Aber vorsichtig hielt er in der Lautstärke zurück. Er drehte sich zur Felsenwand um und pfiff gegen diese. Es konnte kaum ein Ton nach außen dringen. Als er geendet hatte, saß der Pfarrer ganz versonnen da.
    »In Spanien gibt es einen Mann, der mag es genau so gut können wie Ihr. Er haust in den Pyrenäen und hat einen Pakt mit dem Teufel. Ein befreundeter Padre berichtete mir von ihm.« Michel horchte auf. Es war finster. Sein Lächeln konnte niemand sehen. »Soso«, meinte er, »einen Pakt mit dem Teufel hat dieser Mann? Wie schade, daß ich ihn nicht kenne. Sicherlich begeht er schlimme Verbrechen?«
    »Nein, nein«, sagte der Pfarrer hastig, »das ist ja eben das Wunderbare. Man erzählt sich in ganz Nordspanien Wunderdinge über ihn. Er soll kühn sein, stark wie ein Bär, klug wie ein Fuchs und gut wie ein Lamm. Nur leider pfeift er nicht so schöne Melodien wie Ihr. Seine Musik nennen sie im weiten Umkreis Teufelstriller.« »Wer ist dieser Mann und wie heißt er?«
    »Er muß aus Euerm Vaterland stammen. Dort oben nennen sie ihn »E1 Silbador« —»Der Pfeifer«. So wenigstens berichtete mir mein Amtsbruder.«
    Michel schwieg wieder. In der Zelle war es mäuschenstill. Vielleicht schliefen die meisten der Insassen bereits. Draußen

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