Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
Vom Netzwerk:
sich auf die Motorhaube. Eine Singdrossel. Wir beobachteten sie einen Moment, weil ein Wurm aus ihrem Schnabel hing. Dann schaute Dad Mum an, und Mum schaute Dad an, und der Vogel flog weg, während ich die Finger hinterm Rücken verschränkte.
    »Ich denke, es wäre besser, wenn ich bei den Mädchen bliebe«, murmelte Mum. »Soph muss die Tonleitern auf dem Klavier üben, und ich sollte Dot bei ihren …«
    »Benutze sie nicht als Ausrede!«, sagte Dad und schlug sich mit der Faust auf den Schenkel. »Es ist doch sonnenklar, dass du einfach nicht mitkommen willst. Du solltest zumindest den Mut haben, es zuzugeben.«
    »Na gut! Aber es gehören immer zwei dazu, Simon. Wir wissen doch beide, dass dein Vater mich gar nicht sehen will.«
    »Er ist in einem Zustand, in dem er nicht merken wird, ob du da bist oder nicht«, erwiderte Dad und starrte Mum an. Es war schlau von ihm, mit Mums eigenen Worten zu argumentieren, und das merkte sie auch. Sie seufzte ergeben, wandte sich um und zog die Handschuhe aus.
    »Wie du willst. Aber ich sage dir: Ich geh nicht mal in die Nähe seines Zimmers«, sagte sie noch, bevor sie ins Haus marschierte.
    Dad schaute zähneknirschend auf seine Uhr. Ich ging zum Auto, hielt weiterhin die Finger hinterm Rücken verschränkt.
    »Meinst du, ihr bleibt lange im Krankenhaus?«
    Dad kratzte sich im Nacken und seufzte. »Wahrscheinlich schon.«
    Ich setzte mein hilfreichstes Lächeln auf. »Mach dir keine Sorgen wegen uns. Wir kommen schon zurecht.«
    »Danke, Schatz.«
    »Und wenn ihr noch nicht wieder da seid, gehe ich auch nicht zu der Party. Ist nicht so wichtig. Ich meine, Lauren wird enttäuscht sein, wenn ich nicht mitkomme, aber sie wird’s überstehen.« Ich sagte das so lässig, damit Dad glaubte, Mum habe mir schon erlaubt hinzugehen. Er hupte, damit sie sich beeilte.
    »Wann fängt die Party an?«
    »Um acht«, sagte ich, mit etwas schriller Stimme.
    »Bis dahin sollten wir wieder hier sein … ich hoffe es jedenfalls. Wenn du möchtest, kann ich dich dann hinfahren.«
    »Super«, sagte ich und versuchte mir das breite Grinsen zu verkneifen, als ich ins Haus zurückrannte.
    Nachmittags rief Mum aus dem Krankenhaus an, um uns zu sagen, dass Großvaters Zustand stabil war. Sie sprach mit gedämpfter Stimme und meinte, Dad käme so weit klar und ich sollte fürs Abendessen die Lendensteaks aus dem Gefrier schrank nehmen. Ich freute mich, weil Steak mein Lieblingsessen ist. Alles lief bestens, und ich machte mir eine Orangenlimo mit Eiswürfeln. Dann verbrachte ich den Rest des Tages im Garten in der Sonne, schrieb an Wischel der Wuschelklops weiter und füllte unser Vogelhäuschen an dem Baum neben der Hintertür auf. Es kamen auch gleich Vögel angeflogen – eine Elster, die ich grüßte, ein Buchfink, der am Boden herumhopste, und eine Schwalbe, die übers Blumenbeet schwirrte. Ich beobachtete sie eine kleine Ewigkeit und war glücklich und froh dabei, weil ich Vögel liebe. Und ich will ja nicht angeben, aber ich kenne auch so ziemlich jede Vogelart, die in England vorkommt.
    In unserem Garten wächst ganz viel Löwenzahn, und ich habe einen für Sie gezeichnet, Mr Harris, falls es bei Ihnen anderes Unkraut oder gar keins gibt. Ich stelle mir Texas trocken vor, so wie eine Wüste mit Fata Morganas, und bestimmt sehen Sie nur goldenen Sand, wenn Sie aus dem Fenster schauen, und wenn man nicht gerade ein Fan von Stränden ist, muss das ja die Hölle sein.

    Ich pflückte einen dicken Löwenzahn und zwirbelte ihn zwischen den Fingern, während ich mich ins Gras plumpsen ließ und die Füße auf einen Blumentopf legte. Die Sonne am Himmel hatte genau dieselbe Farbe wie die Blume in meiner Hand, und beide waren durch einen warmen gelben Lichtstrahl verbunden. Klar, es war vielleicht nur ein beginnender Sonnenbrand auf meinen Knöcheln, aber einen Moment lang fühlte es sich an, als sei ich eins mit dem Universum, wie in diesen Malvorlagen, bei denen man Punkte verbinden muss. Alles war so bedeutsam und ergab so viel Sinn, als hätte jemand mein Leben nach Zahlen gezeichnet.
    Nicht meine kleine Schwester allerdings.
    »Gefällt’s dir?«
    Dot stand in einem rosa Kleid vor mir. Sie machte Gebärdensprache, weil sie taub ist, und hielt mir dann ein Rätselheft vor die Nase. Ich blinzelte, als ich das Bild ansah. Sie hatte die Punkte falsch verbunden, so dass der Schmetterling, der durch die Lüfte flattern sollte, aussah, als würde er eine Bruchlandung in den Bäumen machen. Ich steckte

Weitere Kostenlose Bücher