Ketten der Liebe
zu töten.«
Amy nagte wieder an ihrer Unterlippe und sah ihn erwartungsvoll an, als habe sie die Anspielung nicht verstanden.
War sie denn wirklich so unschuldig? Oder hatte er es doch mit einer Schauspielerin zu tun, die ihre Rolle wie keine andere beherrschte?
Miss Victorine, die alte Jungfer, ging weiter ihrer Handarbeit nach, nahm die Fäden und fädelte die winzigen Perlen auf.
»Sie meinen ... Folter?« Amy machte ihren nächsten Zug und warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, als wäre er ein schwer durchschaubarer Gegner.
»Manche würden es als Folter bezeichnen.« Er stieß ein kurzes, schroffes Lachen aus. Gewiss, für einen Mann wie ihn war es bereits eine Tortur, hier sitzen zu müssen und sich Fantasien über eine unerfahrene Frau mit verbrecherischen Ambitionen hinzugeben. »Aber Sie wollten mir erklären, wie ich freikomme.«
»Oh.« Amy setzte sich aufrecht hin. »Sie kommen schnell wieder dorthin, wo Sie hingehören. Ihr Anwesen ist ja nur auf der anderen Seite des Kanals.«
»Also bin ich auf Summerwind?« Im Verlauf des Tages hatte er sich gefragt, wo die Frauen ihn gefangen hielten. Durch die kleinen Fenster konnte er draußen nichts erkennen, und diese durchtriebene Frau hätte ihn in irgendeinen Keller sperren und ihn bewusst über den Ort im Unklaren lassen können.
Er zog mit seinem Bauern vor.
»Ganz genau.« Amy machte einen Zug mit ihrem Läufer. »Der Schlüssel zu der Fußfessel ist bereits in einer Schublade in Ihrem Haus hinterlegt worden. Sobald wir fort sind, lassen wir Ihrem Onkel eine Nachricht zukommen und beschreiben ihm, wo der Schlüssel liegt. Dann wird er auf die Insel kommen und Sie befreien.«
Er gab vor, die Figurenkonstellation zu betrachten, beobachtete Amy aber heimlich.
Sie trug die schäbigsten Kleider, die er sich je in seinem Leben hatte ansehen müssen. Auch dieses Kleid hatte gewiss einst Miss Victorine gehört und war so umgenäht worden, dass es zu Amys schlanker Figur passte. Bestimmt hatte sich eine erfahrene Näherin der Sache angenommen, aber der Schnitt war völlig aus der Mode, und der einst blaue und rosafarbene Stoff war zu einem schäbigen Grau und Weiß verblasst. Der Stoff hing schlaff über Unterröcke, die aus Wolle sein mochten. Auch ihre Strümpfe waren aus kratziger Wolle, denn Jermyn hatte mehrmals gesehen, wie Amy mit einem Fuß über ihre Wade rieb. Und ein paar Mal war sie auf ihrem Stuhl hin und her gerutscht.
Er hätte sich damit begnügen sollen, dass sie ein grobes, härenes Hemd trug. Stattdessen brachte ihn der Gedanke an den wollenen Unterrock zu der Frage, was sie sonst noch trug und ob eine so wenig damenhafte Frau sich weigerte, ein Korsett zu tragen. Wenn das stimmte, hatte sie dann womöglich unter dem Unterrock gar nichts an? Und während er sie für diese sonst den Männern vorbehaltene Entschlossenheit verachtete, ein Unrecht aus der Welt schaffen zu wollen, musste sein Körper sehr wohl anerkennen, dass sie eine Frau war.
»Nun?« Amy ließ den Fuß ungeduldig auf den Boden klacken.
Er stellte seine Königin in die Linie von Amys Läufer.
»Das war ein ausgesprochen dummer Zug, Mylord.« Amys Missfallen war mit Händen zu greifen. »Entweder sind Sie nur ein mittelmäßiger Spieler, oder Sie geben sich als Gentleman und lassen mich absichtlich gewinnen. Beides halte ich für wenig wahrscheinlich. Wo sind Sie nur mit Ihren Gedanken?«
Er musste gerade daran denken, dass er sie in die feinsten Seidenstoffe kleiden würde, um ihre zarte Haut zu bedecken, wenn Amy ihm gehörte ... und das brachte ihn wieder zu lebhaften Fantasien. Aber schließlich überwog der Verdruss, in diesem Keller zu hocken. Schon sehnte er sich danach, auf einem guten Pferd über die Insel zu galoppieren, sich mit seinen Freunden zu betrinken oder einfach nur in der warmen Sonne spazieren zu gehen.
Während der zwei Monate, die er auf seinem Anwesen zugebracht hatte, um seine Beinverletzung auszukurieren, hatte er unter einer unbeschreiblichen Langeweile gelitten. Nie hatte er sich bewusst gemacht, wie glücklich er sich schätzen durfte, genug zu essen zu haben, den Dingen nachgehen zu können, die ihm Spaß machten, und den Anblick der Bäume und der See im Sonnenschein zu genießen. Der Wunsch, endlich wieder frei zu sein, machte ihn beinahe verrückt - falls ihn nicht die verächtliche, widerspenstige und rechtschaffene Amy längst um den Verstand gebracht hatte.
Sobald er frei wäre, würde er sie in den Armen einer anderen Frau
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