Kid & Co - V3
werfen Sie zuerst einen Blick in unser Tal, ehe Sie sich entscheiden. Das müssen Sie tun! Unbedingt! Und fischen kann man dort. Donnerwetter! Haben Sie je einen Lachs von fünfunddreißig Pfund mit einer Angelrute von sechs Unzen gefangen?«
»Ich bin um vierzig Pfund leichter als Sie«, sagte Carson. »Lassen Sie mich vorangehen.«
Sie standen am Rande der großen Spalte. Sie war wirklich ungeheuer groß und alt, mindestens hundert Fuß breit und hatte schräge, vom Alter verwitterte Hänge statt scharfer Ränder. An der Stelle, wo Kid und Carson standen, wurde sie von einem riesigen Haufen festgeballten Schnees überbrückt, der halb zu Eis geworden war. Sie konnten nicht einmal sehen, wo dieser Schneehaufen aufhörte, oder wie tief er in den Spalt hinabreichte, und noch weniger, wie tief dieser Spalt selbst war. Die Brücke begann indessen schon zu schmelzen und drohte jeden Augenblick zusammenzubrechen. Man konnte sehen, daß Teile davon erst kürzlich abgebröckelt waren. Und selbst in dem Augenblick, als die beiden diese Brücke untersuchten, brach ein Stück im Gewicht von einer halben Tonne ab und stürzte in die Tiefe.
»Sieht scheußlich unsicher aus«, gab Carson zu, während er bedenklich den Kopf schüttelte. »Und sie sieht viel schlimmer aus als damals, als ich noch kein Millionär war.«
»Aber wir müssen losgehen«, sagte Kid. »Wir sind schon zu weit, um umkehren zu können. Und die ganze Nacht hier oben auf dem Eis lagern können wir auch nicht. Es gibt keinen andern Weg. Kurz und ich haben eine ganze Meile zu beiden Seiten geforscht. Aber die Brücke war damals, als wir sie überschritten, freilich in besserem Zustande.«
»Sie kann nur einen tragen. Lassen Sie mich zuerst hinübergehen.« Carson nahm Kid den Schlag des Seiles aus der Hand. »Sie müssen loslassen. Ich nehme das Seil und die Hacke. Geben Sie mir die Hand, so daß ich leichter hinuntersteigen kann.«
Langsam und vorsichtig kletterte er einige Fuß bis zur Brücke hinunter, auf der er dann einen Augenblick stehenblieb, um die letzten Vorbereitungen für den gefährlichen Übergang zu treffen. Auf dem Rücken trug er seine Ausrüstung. Das Seil legte er sich um den Hals, so daß es auf seinen Schultern ruhte.
Das eine Ende war indessen um seinen Körper festgebunden.
»Ich würde einen ansehnlichen Teil meiner künftigen Million für eine Bande tüchtiger Brückenarbeiter geben«, sagte er, aber sein heiteres, launiges Lächeln strafte seine Worte Lügen.
Dann fügte er hinzu: »Alles in Ordnung! Ich bin die reine Katze.«
Die Hacke und die lange Stange, die er als Alpenstock benutzte, hielt er des Gleichgewichts wegen waagerecht vor sich wie ein Seiltänzer. Er setzte erst den einen Fuß prüfend vor, zog ihn wieder zurück und nahm sich mit sichtlicher Anstrengung zusammen.
»Ich möchte lieber eine arme Laus sein«, sagte er lächelnd; »wenn ich diesmal kein Millionär werde, versuche ich es nie wieder. Es ist doch zu unbequem.«
»Wird schon gehen«, ermunterte ihn Kid. »Ich bin ja schon einmal hinübergekommen. Lassen Sie mich lieber zuerst versuchen.«
»Ausgerechnet Sie mit Ihren vierzig Pfund Mehrgewicht«, gab der kleine Mann eifrig zurück. »In einer Minute bin ich bereit. Ich bin es schon.«
Diesmal hatte er seine Nerven sofort in der Gewalt.
»Gut, hier geht es um den Rogue River und die Äpfel«, sagte er, als er den Fuß vorsetzte. Diesmal aber ließ er ihn leicht und vorsichtig stehen, während er den andern langsam und sachte hob und an ihm vorbeischob. Mit großer Umsicht und Sorgfalt setzte er dann den Weg über die zerbrechliche Brücke fort, bis er zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatte. Dann machte er halt, um eine Vertiefung zu untersuchen, die er überschreiten mußte. Er bemerkte aber darin einen ganz frischen Riß und blieb zögernd stehen. Kid, der ihn die ganze Zeit beobachtete, sah, daß er erst zur Seite und dann in die Tiefe hinunterblickte und darauf leise hin und her zu schwanken begann.
»Nicht nach unten blicken«, befahl Kid barsch. »Weitergehen... sofort!«
Der kleine Mann gehorchte und schwankte nicht mehr unterwegs. Der von der Sonne zernagte Abhang auf der andern Seite der Kluft war schlüpfrig, aber nicht steil, und es gelang ihm, ein schmales Felsstück zu erreichen, das aus der Wand vorsprang. Dort wandte er sich mit dem Gesicht gegen Kid und setzte sich.
»Jetzt ist die Reihe an Ihnen!« rief er ihm zu. »Aber bleiben Sie nicht stehen und sehen Sie auch nicht
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