Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kid & Co - V3

Titel: Kid & Co - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
Fieberdelirium lag. Einmal wollte Kid schon den Schlafsack beiseite schleudern, aber Labiskwee hielt ihn fest.
    »Nein, tue es nicht«, bat sie. »Es ist der Tod, wenn du dich jetzt entblößt. Verbirg dein Gesicht hier in meiner Parka, atme ganz ruhig und still und sprich nicht.«
    So lagen sie im Halbschlaf in der Dunkelheit, obgleich der immer schwächer werdende Husten des einen die andern immer weckte. Es schien Kid, als ob McCan nach Mitternacht zum letztenmal hustete.
    Kid erwachte, als Lippen sich gegen die seinen preßten. Er lag in Labiskwees Armen, sein Kopf ruhte an ihrer Brust. Ihre Stimme war heiter wie sonst. Der verschleierte Klang war ganz verschwunden.
    »Es ist schon Tag«, sagte sie und lüftete vorsichtig einen Zipfel des Schlafsacks. »Sieh, Geliebter, es ist Tag! Wir haben den weißen Tod überlebt, und wir husten nicht mehr! Laß uns die Welt anschauen, obgleich ich gern für immer hierbliebe. Die letzte Stunde war voll wunderbarer Süße. Ich war die ganze Zeit wach, und ich lag hier und hatte dich so lieb.«
    »Ich höre McCan nicht mehr«, sagte Kid. »Und was ist aus den jungen Männern geworden, da sie uns nicht gefangen haben?«
    Er schlug die Schlafsäcke zurück und sah eine normale und vernünftige Sonne allein am Himmel stehen. Ein leiser Wind wehte knisternd vor Frost und doch voll von Verheißungen warmer Tage, die bald kommen sollten. Die ganze Welt war wieder wie sonst. McCan lag auf dem Rücken, sein ungewaschenes, vom Rauch der Lagerfeuer geschwärztes Gesicht war hartgefroren, so daß es wie in Marmor gehauen zu sein schien. Der Anblick machte keinen Eindruck auf Labiskwee.
    »Sieh«, rief sie. »Ein Schneehuhn! Das ist ein gutes Zeichen!«
    Von den jungen Männern war keine Spur zu sehen. Sie hatten so wenig Proviant, daß sie es nicht wagten, auch nur ein Zehntel von dem, was sie nötig hatten, oder ein Hundertstel von dem, worauf sie Appetit hatten, zu essen. Und in den folgenden Tagen, an denen sie durch das einsame und öde Gebirge wanderten, wurde der scharfe Stachel ihrer Lebenskraft abgestumpft, und sie gingen weiter wie in einem Dämmerzustand. Hin und wieder kehrte bei Kid das Bewußtsein zurück, und er fand sich, wie er dastand und nach den fernen Schneekuppen starrte, die nie ein Ende nehmen wollten und die er längst hassen gelernt hatte, während sein eigenes sinnloses Plappern ihm noch in den Ohren hallte. Auch Labiskwee war meistens verstört. Überhaupt mühten sie sich rein automatisch ab, ohne darüber nachzudenken. Und immer wieder wurden sie durch schneebedeckte Gipfel enttäuscht und nach Norden oder Süden abgelenkt.
    »Es gibt keinen Weg nach dem Süden«, sagte Labiskwee. »Die alten Männer wußten es. Westwärts, nur westwärts geht unser Weg.« Dann kam ein Tag, an dem es wieder kalt wurde und ein dichtes Schneegestöber sie überfiel, das nicht aus richtigen Schneeflocken, sondern aus Eiskristallen von der Größe von Sandkörnern bestand. Drei Tage lang fiel dieser Schnee, Tag und Nacht ununterbrochen. Es war unmöglich, weiterzuwandern, ehe sich unter dem Einfluß der Frühlingssonne eine Kruste gebildet hatte. Sie legten sich deshalb in ihren Schlafsäcken zur Ruhe, und da sie ruhten, brauchten sie nicht so viel zu essen. So klein waren die Rationen bereits geworden, daß sie den stechenden Hunger, der erst aus dem Magen, aber doch noch mehr aus dem Gehirn kam, nicht zu besänftigen vermochten. Und Labiskwee, die im Fiebertraum lag, wurde halb verrückt, wenn sie ihre kleine Ration kostete; sie schluchzte und murmelte und stieß kleine Schreie tierischer Freude aus. Dann stürzte sie sich über die Ration für den nächsten Tag und steckte sie in den Mund.
    Aber da erlebte Kid etwas Wunderbares. Als sie das Essen zwischen den Zähnen spürte, kam sie zum Bewußtsein. Sie spie den Bissen aus, und in einem furchtbaren Zornesausbruch schlug sie sich mit der geballten Faust auf den eigenen Mund, der ihr solches Ärgernis bereitet hatte.
    Überhaupt war es Kid vergönnt, in den kommenden Tagen viel Wunderbares zu erleben.
    Nach dem lang anhaltenden Schneegestöber begann ein starker Wind zu wehen, der die feinen trockenen Eisstäubchen durch die Luft jagte, so wie der Wüstensturm die Sandkörner vor sich hertreibt. Die ganze Nacht hindurch wehte dieser Sturm des Eissandes, als es dann aber Tag - ein klarer, windiger Tag - geworden war, sah Kid mit schwimmenden Augen und schwindelndem Hirn etwas, das er für eine Vision oder einen Traum hielt. Zu

Weitere Kostenlose Bücher