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Kinder der Retorte

Kinder der Retorte

Titel: Kinder der Retorte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Denjenigen, die man für gesellschaftspolitisch untauglich hielt, wurde die Geburtserlaubnis entzogen, jenen, die gerade die Mindestnorm erreichten, wurden höchstens zwei Kinder pro Ehepaar bewilligt, und nur diejenigen, die über der Norm lagen, durften sich mit beliebig hoher Nachkommenschaft fortpflanzen. Damit wurde zwar das Problem der Überbevölkerung gelöst, dafür aber ein neues geschaffen: ein empfindlicher Mangel an Arbeitskräften In allen Dienstleistungsbranchen, um so mehr, als der Lebensstandard in dem Maße stieg wie die Weltbevölkerung abnahm.
    Die Umformung der Gesellschaft vollzog sich in weltweitem Umfang. Die Einführung der Transmatreisen hatte den Planeten in ein Dorf verwandelt, und die Menschen dieses Dorfes sprachen die gleiche Sprache: Englisch, und sie dachten die gleichen Gedanken. Kulturell und genetisch tendierten sie zur Vermischung. Wunderliche Lokaltraditionen wurden da und dort als Folklore zur Touristenattraktion erhalten, doch am Ende des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts gab es kaum noch Unterschiede zwischen den Bürgern von Karachi, Kairo, Minneapolis, Athen, Addis Abeba, Rangun, Peking, Canberra oder Nowosibirsk. Der Transmat hatte die nationalen Grenzen überwunden und Begriffe wie ›nationale Souveränität‹ zur Sinnlosigkeit werden lassen.
    Diese soziale Umwälzung, die zu allgemeiner Muße und Bequemlichkeit geführt hatte, führte zu einer steigenden Nachfrage nach Dienstleistungen. Von Computern gesteuerte Roboter hatten sich als zu aufwendig oder unzulänglich für viele dieser Aufgaben erwiesen. Roboter waren zwar ausgezeichnete Straßenkehrer und Fabrikarbeiter, doch sie waren weniger tauglich als Butler, Babysitter, Köche und Gärtner. Baut bessere Roboter, sagten manche; andere aber träumten von synthetischen Menschen, die diese Bedürfnisse befriedigen sollten. Die technischen Schwierigkeiten schienen nicht unüberwindlich. Die Ektogenese – die künstliche Ernährung von Embryos außerhalb des Mutterleibes, das Ausbrüten von Babys aus gespeicherten Eiern und Sperma – war immer mehr verbessert worden, in der Hauptsache als Bequemlichkeit für Frauen, die das Risiko und die Last einer Schwangerschaft vermeiden wollten. Ektogene, mittelbar aus Mann und Frau geboren, waren zu sehr menschlich, um als Werkzeuge gebraucht zu werden; doch warum nicht einen Schritt weitergehen und Androiden herstellen?
    Das hatte Krug getan. Er hatte der Welt den synthetischen Menschen geschenkt, die weitaus anpassungsfähiger waren als Roboter, langlebig, komplex in ihrer Persönlichkeit und ausschließlich abgerichtet zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Sie wurden gekauft, nicht gemietet und durch Gesetzeskraft als Eigentum, nicht als Personen betrachtet. Kurzum, sie waren Sklaven. Manuel dachte manchmal, es wäre vielleicht einfacher gewesen, sich mit Robotern zu begnügen. Roboter waren Dinge, die als Dinge behandelt werden konnten. Androiden hingegen waren so schmerzhaft menschenähnlich, daß es einem schwerfiel, sie als Dinge zu betrachten, und sie selbst mochten vielleicht ihren Status als Industrieprodukte und Sklaven nicht für alle Zeiten unwidersprochen hinnehmen.
    Der Wagen glitt durch eine Zuchtkammerhalle nach der anderen, die still, verdunkelt und bis auf wenige Androidenaufseher leer waren. Jeder entstehende Androide verbrachte die ersten beiden Jahre seines Lebens versiegelt in einer solchen Kammer, erklärte Bompensiero, und die Hallen, die sie passierten, enthielten nacheinander Partien im Alter von wenigen Wochen bis zu mehr als zwanzig Monaten. In manchen Hallen waren die Kammern offen; Trupps von Beta-Technikern bereiteten neue Infusionen von Startzygoten vor.
    »In dieser Halle«, sagte Bompensiero viele Hallen später, »haben wir eine Gruppe von ausgereiften Androiden, die bereit sind ›geboren‹ zu werden. Wünschen Sie hinunterzusteigen und den Vorgang aus nächster Nähe zu beobachten?«
    Manuel nickte.
    Bompensiero betätigte einen Hebel. Ihr Wagen rollte ruhig vom Hauptgleis eine Rampe hinunter. Auf dem Boden der Halle stiegen sie aus. Manuel sah einen Schwarm von Gammas, die sich um eine der Zuchtkammern drängten. »Die Nährflüssigkeiten sind aus der Kammer abgelassen worden. Seit etwa zwanzig Minuten atmen die darin befindlichen Androiden zum erstenmal in ihrem Leben Luft. Jetzt werden die Luken der Kammern geöffnet. Hier, kommen Sie näher, Mr. Krug, kommen Sie näher.«
    Der Deckel der Kammer wurde abgehoben. Manuel schaute hinein.

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