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Kinder der Retorte

Kinder der Retorte

Titel: Kinder der Retorte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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müssen wissen, daß das gegen jede Regel ist. Wir haben das Stasisnetz stets programmiert. Im Falle einer plötzlichen Schwingungsungleichheit kann alles geschehen!«
    »Ich übernehme die Verantwortung«, erwiderte Krug barsch. »Ich habe keine Zeit zu verschwenden, um auf Ihr Netz zu warten.«
    Die verängstigten Androiden führten sie rasch in den Tauschraum. In dem indirekt erleuchteten und gegen jeden Schall von außen abgedichteten Raum standen zwei Liegen; glitzernde Apparate hingen von Haltern an der Decke herab. Krug wurde als erster zu seiner Couch geleitet. Als Watchman an die Reihe kam, schaute er in die Augen seiner Alphaeskorte und war bestürzt über die Verwirrung und das Entsetzen, das er in ihnen las. Watchman zuckte die Achseln, um ihnen anzudeuten, daß er unschuldig sei an dem, was geschehe.
    Als man ihnen die Schalthelme aufgesetzt und die Elektroden angeschlossen hatte, sagte der leitende Alpha: »Wenn der Strom eingeschaltet ist, werden Sie sofort den Druck des Stasisnetzes spüren, während das Ego von der physischen Hülle getrennt wird. Sie werden sich so fühlen, als würden Sie ausgequetscht, und in einem gewissen Sinne ist es so. Versuchen Sie jedoch, sich zu entspannen und diese Unannehmlichkeiten hinzunehmen, denn Widerstand ist unmöglich, und alles, was Sie empfinden werden, ist nur der Egotauschprozeß, den zu erleben Sie gekommen sind. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Im Falle einer Panne werden wir den Strom sofort abschalten und Ihnen Ihre eigene Identität wiedergeben.«
    »Tun Sie alles, um eine Panne zu vermeiden«, murmelte Krug. Watchman konnte nichts sehen und nichts hören. Er konnte keine der rituellen Gesten des Trostes machen, denn man hatte seine Glieder an die Couch geschnallt, um zu verhüten, daß er während des Tauschprozesses heftige Bewegungen machte. Ich glaube an Krug, den ewigen Schöpfer aller Dinge, dachte er. Krug bringt uns in die Welt und zu Krug kehren wir zurück. Krug ist unser Schöpfer und unser Beschützer und unser Befreier. Krug, wir flehen dich an, uns zum Licht zu führen. AAA AAG AAC AAU sei Krug. AGA AGG AGC AGU sei Krug. ACA ACG ACC…
    Eine Kraft stieß unerwartet in sein Bewußtsein und trennte sein Ego von seinem Körper, als hätte ein Hackmesser die Verbindung zwischen ihnen durchschnitten.
    Er wurde fortgeschwemmt. Er wurde durch zeitlose Abgründe getragen, in denen kein Stern glänzte. Er sah Farben, die er noch nie gesehen hatte. Er hörte Töne von unidentifizierbarem Klang. Er schwebte über Tiefen, in denen riesige Seile sich wie Balken von Rand zu Rand der Leere erstreckten. Er verschwand in dunklen Tunnels und tauchte am Horizont auf, fühlte sich ausgedehnt zu unendlicher Länge. Er war ohne Masse. Er war ohne Dauer. Er war ohne Form. Er schwebte durch graue Bereiche des Mysteriums.
    Ohne einen Übergang zu spüren, drang er in die Seele Simeon Krugs ein.
    Er behielt ein vages Bewußtsein seiner eigenen Identität. Er wurde nicht wirklich Krug, er gewann nur Zutritt zu dem gesamten Schatz an Erinnerungen, Haltungen, Reaktionen und Absichten, die Krugs Ego ausmachten. Er konnte keinen Einfluß ausüben auf diese Erinnerungen, Haltungen, Reaktionen und Absichten; er war ein Besucher unter ihnen, ein passiver Zuschauer. Und er wußte, daß in einem anderen Winkel des Universums das wandernde Ego Simeon Krugs Zutritt hatte zu dem Schatz an Erinnerungen, Haltungen, Reaktionen und Absichten, die das Ego des Androiden Alpha Thor Watchman bildeten.
    Er bewegte sich frei innerhalb Krugs.
    Da war die Kindheit: düster und feucht, eingezwängt in eine enge stickige Wohnung. Da waren Hoffnungen, Träume, erfüllte und unerfüllte. Lügen, Erfolge, Feindschaften, Neid, Enttäuschungen, Widersprüche, Phantasien, Befriedigungen und Frustrationen. Da war eine Frau mit strähnigen orangefarbenen Haaren und schweren Brüsten, die ihre Schenkel öffnete, und da war die Erinnerung an das Gefühl der ersten Wollust, als sie ihn gewähren ließ. Da waren stinkende Chemikalien in einem Bottich. Da waren Molekularmuster, die auf einem Schirm tanzten. Da war Mißtrauen. Da war Triumph. Da war das Anschwellen des Fleisches in späteren Jahren. Da war ein hartnäckiges Muster von piepsenden Tönen: 2-5-1, 2-3-1, 2-1. Da war der wie ein schimmernder Phallus aufragende Turm, der den Himmel durchstieß. Da war Manuel, lächelnd, sich zierend, sich entschuldigend. Da war ein tiefer dunkler Kessel, in dem sich Gestalten bewegten. Da war ein Kreis

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