Kinder der Retorte
Gott so nahe?« Krug lachte. »Hast du die Flecken auf Gottes kahlem Schädel gesehen und die Pickel an seinem Kinn? Hast du den Knoblauch gerochen, den er gegessen hatte? Was ging dir während dieser ganzen Zeit durch den Kopf, Thor?«
»Muß ich diese Frage unbedingt beantworten, Sir?«
»Nein. Nein. Schon gut.« Krug starrte wieder in den Würfel. Watchman stand aufrecht vor Ihm, versuchte ein plötzliches Zittern in den Muskeln seines rechten Schenkels zu unterdrücken. Warum spielte Krug mit ihm? Und was geschah am Turm? Euklid Planner würde seine Schicht erst in einigen Stunden antreten; würde die schwierige Verlegung der Blöcke richtig durchgeführt während der Abwesenheit eines Aufsehers? Plötzlich sagte Krug: »Thor, warst du je in einem Egotauschraum?«
»Sir?«
»Ein Institut, in dem man mit jemand in das gleiche Stasisnetz eingeschaltet wird, um die Identitäten für einen oder zwei Tage zu tauschen.«
Watchman schüttelte den Kopf. »Das ist etwas, was Androiden nie tun.«
»Eigentlich nicht. Aber heute wirst du es mit mir tun.« Krug überflog seinen Terminkalender, kippte einen Hebel um und sagte: »Leon, melde mich in irgendeinem Egotauschinstitut an, für zwei Personen und Termin: in fünfzehn Minuten!«
Bestürzt sagte Watchman: »Sir, meinen Sie es ernst? Sie und ich…«
»Warum nicht? Hast du Angst, deine Seele mit Gott zu tauschen, ist es das? Verdammt, Thor, du wirst es tun! Ich muß Bescheid wissen, und zwar sofort. Wir werden unsere Identität tauschen. Glaubst du mir, daß ich es bisher auch nie getan habe? Aber heute werden wir es tun.«
Das ganze schien dem Alpha einem Sakrileg gefährlich nahe zu kommen, doch er konnte sich nicht weigern. Sich dem Willen Krugs widersetzen? Selbst wenn es ihm das Leben kostete, er würde gehorchen müssen.
Spauldings Bild schwebte in der Luft. »Ich hab in New Orleans gebucht«, erklärte er. »Man wird sie sofort bedienen. Sie mußten die Warteliste schnell ändern, aber es wird etwa neunzig Minuten dauern, bis das Stasisnetz programmiert ist.«
»Unmöglich. Wir werden direkt in das Stasisnetz einsteigen.«
Spaulding war entsetzt. »Das tut man üblicherweise nicht, Mr. Krug! Es ist höchst gefährlich.«
»Ich werde es tun. Sie sollen doppelt vorsichtig sein, sag ihnen das.«
»Ich bezweifle, daß sie einwilligen werden…«
»Wissen sie, wer ihr Kunde ist?«
»Ja, Sir.«
»Nun, dann sagen Sie ihnen, daß ich darauf bestehe! Und wenn sie immer noch Schwierigkeiten machen, sagen Sie ihnen, ich werde ihr ganzes verdammtes Institut kaufen und es betreiben, wie es mir gefällt, wenn sie nicht parieren wollen.«
»Ja, Sir«, sagte Spaulding.
Sein Bild verschwand. Krug, vor sich hinmurmelnd, begann auf Tasten seines Terminkalenders zu drücken und ignorierte Watchman völlig. Der Alpha stand wie angewurzelt, spürte ein Würgen im Hals. Automatisch machte er mehrere Male das Krug-erhalte-uns-Zeichen. Er wünschte sich verzweifelt, aus der Situation befreit zu werden, in die er sich gebracht hatte.
Das Bild Spauldings erschien wieder in der Luft. »Sie geben nach«, sagte er, »aber nur unter der Bedingung, wenn Sie einen Revers unterschreiben, in dem Sie sie jeder Verantwortung entbinden.«
»Ich werde unterschreiben«, sagte Krug barsch.
Ein Blatt glitt aus dem Faksimileschlitz. Krug überflog es und kritzelte seine Unterschrift darunter. Er erhob sich. Zu Watchman sagte er: »Gehen wir, der Egotauschraum wartet.«
Watchman wußte wenig über das Egotauschen. Es war ein Sport nur für Menschen und nur für die Reichen. Liebende taten es, um die Vereinigung ihrer Seelen zu vollziehen, gute Freunde taten es zum Spaß, diejenigen, die sich langweilten, besuchten Egotauschräume in der Gesellschaft von Fremden, die gleicher Stimmung waren, nur um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Er hatte nie daran gedacht, so etwas zu tun, und sicherlich hätte er nie daran zu denken gewagt, es mit Krug zu tun. Doch jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, sich zu weigern. Der Transmat beförderte sie von New York in den dunklen Warteraum des Psychotausch Instituts in New Orleans, wo sie von einem Stab verängstigter Alphas empfangen wurden. Das Unbehagen der Alphas wuchs sichtlich, als sie erkannten, daß einer ihrer Kunden selbst ein Alpha war. Auch Krug schien innerlich in hohem Maße erregt zu sein. Er preßte die Lippen zusammen, seine Gesichtsmuskeln zuckten. Die Alphas eilten geschäftig hin und her. Einer von ihnen sagte immer wieder: »Sie
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