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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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würde der Sturm hier sein. Sie konnte schon die Schärfe des Windes spüren. Endlich blinkte auf dem höchsten Berg von Amberly das große Signalfeuer des Leuchtturms in einem Stakkatorhythmus auf. Erst jetzt wurde Maris bewußt, daß Barrion das richtige Signal kannte, obwohl sie es ihm nicht gesagt hatte. Der Sänger wußte eine ganze Menge, viel mehr als sie ihm zugetraut hatte. Vielleicht war er gar nicht der große Schwindler, für den man ihn hielt.
    Einige Minuten später lag sie im Gras, nur ein paar Schritte von Corms Haustür entfernt. Sie hatte sich geduckt, der Schatten und die Bäume schützten sie. Die Tür ging auf, und der dunkelhaarige Flieger kam heraus. Die Flügel hatte er sich über die Schultern gelegt. Er war warm angezogen. Fliegerkleidung, dachte Maris. Eilig lief er die Hauptstraße hinunter.
    Nachdem er verschwunden war, suchte sie sich einen Stein, schlich um das Haus und schlug eine Fensterscheibe ein. Glücklicherweise war Corm nicht verheiratet und lebte allein. Vielleicht hatte er aber heute nacht eine Frau bei sich. Aber sie hatten das Haus genau beobachtet. Niemand war hineingegangen oder herausgekommen, außer der Putzfrau, und die arbeitete dort nur tagsüber.
    Maris entfernte die Glasscheiben, kletterte auf die Fensterbank und sprang hinein. Im Haus war es stockfinster, aber ihre Augen fanden sich schnell in der Dunkelheit zurecht. Er würde bald den Leuchtturm erreichen und herausfinden, daß es sich um einen blinden Alarm handelte. Barrion mußte sich beeilen, um nicht geschnappt zu werden.
    Die Suche dauerte nicht lange.
    Sie fand ihre Flügel gleich neben der Tür an einem Ständer, wo Corm auch seine eigenen Flügel aufbewahrte. Sie nahm sie vorsichtig herunter. Liebevoll ließ sie ihre Hände über das kalte Metall gleiten, um zu prüfen, ob die Streben unversehrt waren. Endlich, dachte sie, nun werde ich sie mir nicht mehr wegnehmen lassen.
    Sie schnallte sich die Flügel um und rannte dujch die Tür in den Wald hinein. Um Corm nicht zu begegnen, nahm sie einen anderen Weg als er. Er würde bald wieder zu Hause sein und den Diebstahl bemerken. Sie mußte so schnell wie möglich die Sprungklippe erreichen.
    Sie brauchte eine gute halbe Stunde. Zweimal mußte sie anderen nächtlichen Reisenden aus dem Weg gehen und sich im Unterholz neben der Straße verstecken. Aber als sie den Sprungfelsen erreichte, waren auch dort Leute in der Nähe. Zwei Mann aus der Fliegerhütte befanden sich unten am Strand. Maris versteckte sich hinter den Felsen und wartete, daß sich ihre Laternen entfernten.
    Sie war ganz steif vom Herumkriechen und zitterte vor Kälte, als sie weit draußen über dem Meer ein silbernes Flügelpaar schnell herabgleiten sah. Der Flieger drehte eine Runde über dem Strand, um die Aufmerksamkeit der Helfer zu erregen und landete dann sauber. Als man ihm die Flügel abnahm, erkannte Maris, daß es Anni von Culhall war. Ohne Zweifel brachte sie eine Botschaft. Das war ihre Chance. Die Helfer würden Anni sicherlich zum Landmann begleiten.
    Als sie verschwunden waren, richtete sich Maris auf und kletterte schnell den felsigen Pfad zur Sprungklippe hinauf. Es war ein mühseliges und langwieriges Unterfangen, die Flügel allein zu entfalten. Außerdem klemmten die Scharniere des linken Flügels. Sie mußte sie fünfmal öffnen, bevor die Streben einrasteten. Corm hat sie nicht einmal gewartet, dachte sie verbittert.
    Dann vergaß sie den Ärger und alles andere, rannte los und sprang in den Wind.
    Die steife Brise traf sie wie ein Faustschlag. Aber sie rollte sich zusammen, verlagerte das Gewicht und drehte sich so lange, bis sie einen starken Aufwind erwischte und zu steigen begann. Schnell stieg sie immer höher. Ganz in ihrer Nähe blitzte es. Sie zitterte vor Angst. Aber dann war es wieder ruhig. Endlich konnte sie wieder fliegen. Und selbst wenn ein Blitz sie erwischt hätte, würde niemand außer Coli ihren Tod beklagen. Sie konnte sich keinen schöneren Tod denken. Maris legte sich schräg und gewann kreisend an Höhe. Obwohl sie allein war, konnte sie einen Freudenschrei nicht unterdrücken.
    Eine Stimme antwortete ihr. „Kehr um!“ schrie jemand wutentbrannt. Erschreckt verlor sie für einen Moment das Gleichgewicht und blickte suchend umher.
    Blitze rissen den Himmel über Amberly auf. In ihrem Licht glänzten schattenhafte Flügel über ihr wie helles Silber. Corm stieß aus den Wolken auf sie herab.
    Er schrie ununterbrochen. „Ich wußte, daß du

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