Kinder
bitte!«
Mertes schwieg. Wie konnte er diesen Mann wieder loswerden, ohne
allzu unhöflich zu sein?
»Die beiden Lehrer, die neu an unsere Schule kamen, haben vorher im
Internat Cäcilienberg unterrichtet.«
Mertes erstarrte.
»Ein Ehepaar, Franz und Rosemarie Moeller. Sagen Ihnen die Namen
etwas?«
Mertes biss sich auf die Lippen.
»Herr Mertes?«
»Ja, hab ich schon mal gehört«, brummte er.
»Können wir nun mit Ihnen reden?«
»Nein, das geht nicht.«
Mertes hatte die beiden Lehrer deutlich vor Augen: seltsame
Gestalten, die ihm von Anfang an unsympathisch gewesen waren – aber weder ihnen
noch einem anderen Lehrer des Internats war eine Beteiligung an Kais Tod
nachzuweisen. Außerdem brachte es nichts, wenn er wieder in dem alten Fall
herumstocherte. Inzwischen war Ruhe auf dem Cäcilienberg eingekehrt. Und
irgendwann würde auch er die quälenden Erinnerungen an diesen Fall loswerden.
Tote Kinder waren immer das Schlimmste.
»Dass Lehrer von der einen Schule auf eine andere wechseln, kommt
vor«, sagte er nach einer Pause. »Dass sie dabei in ein anderes Bundesland
wechseln, ist vielleicht seltener, aber durchaus möglich – und natürlich nicht
verboten. Ich kann Ihnen da wirklich nicht weiterhelfen.«
»Unsere Kinder haben sich verändert. Es gibt Probleme, die wir
früher nicht hatten.« Rainer Pietsch ließ eine kurze Pause. »Und der Freund
unseres Jüngsten wurde direkt vor der Schule von einem Auto erfasst. Er ist
tot, ein Unfall, heißt es.«
Mertes legte auf, ohne noch etwas zu sagen. Einige Male schluckte er
trocken, dann ging er ins Bad, um sich zu übergeben. Das Telefon klingelte über
den Abend verteilt noch ein paar Mal, aber Mertes hob nicht ab. Es war immer
dieselbe Nummer mit einer Vorwahl aus dem Raum Stuttgart.
Gegen ein Uhr nachts schreckte er im Bett hoch, rieb sich die Augen
und massierte sich die Schläfen, doch das Kopfweh blieb. Er stand auf, nahm
eine Tablette. Der Schmerz ließ etwas nach, aber die Bilder blieben. Die Bilder
vom Ziegenhorn und den anderen Plätzen, an denen die Kinder gestorben waren.
Die Bilder von kleinen Gräbern und weinenden Eltern. Und die noch sehr frischen
Bilder der Eltern, die am Grab ihres toten Kindes ihrem eigenen Leben ein Ende
gesetzt hatten.
Stefan Mertes nahm das Telefon und drückte die Rückruf-Option.
»Hi, Sören!«, rief Hendrik überrascht.
Er stand am Spielplatz und wartete auf Sarah, als er seinen Freund
das erste Mal seit langer Zeit wieder auf der Straße traf.
»Geht’s dir gut?«
»Ist okay«, murmelte Sören und lehnte sich neben Hendrik an das
Geländer, das den Spielplatz vom Gehweg abgrenzte. »Und dir?«
»Mir geht’s prima, danke.«
Hendrik hatte das so fröhlich dahingesagt, dass er sofort ein
schlechtes Gewissen bekam – schließlich war es noch nicht so lange her, dass
Sören sich umzubringen versucht hatte.
»Ist ihre Schuld, oder?«
Sören grinste und nickte zu Sarah hinüber, die gerade auf dem Gehweg
herankam. Sie runzelte kurz die Stirn, als sie Sören erkannte, lächelte dann
aber freundlich.
»Tag, Sarah«, sagte Sören und lächelte ebenfalls.
»Kommst du wieder in die Schule?«, fragte sie nach einer kurzen,
beinahe peinlichen Pause.
»Mal sehen.«
»Machst du dir noch Sorgen wegen Moeller?«
»Nein, die Moellers können mich mal.« Sören sagte das ganz ruhig,
aber mit einem gefährlichen Unterton. »Und die wären inzwischen auch ganz gut
beraten, mich in Ruhe zu lassen. Sonst …«
Sarah erschrak.
»Mach keinen Blödsinn, Sören!«
»Ich mach keinen Blödsinn, da braucht ihr keine Angst zu haben. Aber
ich habe mitbekommen, dass die Moellers Blödsinn machen – und vielleicht ist es
ihnen lieber, wenn das niemand erfährt.«
Er grinste hämisch.
»Und da wäre es klüger, sich nicht wieder mit mir anzulegen.«
Sarah und Hendrik sahen ihn fragend an, aber er sagte nichts weiter.
Unter der Woche hatte Rainer Pietsch nicht freibekommen,
am Freitag hatte Annette Pietsch eine Geburtstagsparty mit einem Buffet zu
versorgen, und so fuhren sie erst am Samstagvormittag los.
Die Kinder fuhren nicht mit. Rainer und Annette hatten ihnen den
Familienausflug ins Wanderparadies Vulkaneifel besonders spießig ausgemalt, um
sicher sein zu können, dass keiner mitwollte. Sarah verabredete sich mit einer
Freundin, bei der sie auch über Nacht bleiben konnte. Michael hatte mürrisch
zugehört und war dann mit einem pampigen »Bloß nicht!« in seinem Zimmer
verschwunden. Lukas überlegte am
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